Wachstum: Deutschlands Problem mit der Produktivität: So lässt es sich lösen

In Zeiten von Robotern und KI haben Viele das Gefühl, die Produktivität würde steigen. Doch in Wahrheit wird Deutschland immer unproduktiver. Was muss sich ändern?

Roboter montieren Autos und fahren durch Produktionsstraßen. Mitarbeiter kommunizieren von Standorten auf der ganzen Welt via Slack, Zoom und Teams. Und statt durch drei Supermärkten zu laufen, bekommen Deutsche ihre Lieblingsprodukte mit ein paar Klicks am kommenden Tag direkt an die Haustür geliefert. Für Viele fühlt es sich so an, als würden wir alle immer produktiver. Und Deutschland ist im Ausland sowieso als Produktivitätsweltmeister bekannt.

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Doch der Eindruck trügt. Die mittelfristigen Wachstumsaussichten seien auf einem „historischen Tiefstand“, sagte Martin Werding, einer der sogenannten Wirtschaftsweisen, auf einer Veranstaltung eben jener Weisen im Juni. Es mangele an „Produktivitätszuwächsen.“ Zur Jahrtausendwende lagen die Produktivitätszuwächse noch bei knapp 1,0 Prozent des BIPs. 2010 bei 0,6 Prozent. Dieses Jahr bei 0,3 Prozent. Und so würde auch unabhängig vom stetigen Auf-und-Ab der Weltwirtschaft die Wirtschaft ohnehin kaum wachsen können.

Warum das Produktivitätswachstum entscheidend ist

Die Zahlen zeichnen einen pessimistischen Ausblick auf die Zukunft Deutschlands als Wirtschaftsstandort. Doch warum wächst die Produktivität trotz stetig neuer Erfindungen in einem der stärksten Industrieländer der Welt nicht mehr? Und lässt sich das Ruder noch irgendwie rumreißen?

Wichtig ist zunächst: Ohne mehr Produktivität wird auch die deutsche Wirtschaft nicht wachsen. Nach einem Modell des Nobelpreisträgers Robert Solow, so lernt es jeder VWL-Student, wächst die Wirtschaft, wenn die Produktionsfaktoren zunehmen. Vereinfacht gesagt gibt es also mehr Wachstum mit jeder Stunde, die Menschen auf der Arbeit verbringen, und jeder Maschine, die ihnen dabei hilft. Oder aber das Bruttoinlandsprodukt wächst, weil die Menschen in derselben Zeit mit ihren Maschinen mehr produzieren, sprich, produktiver werden. Und da in Deutschland die Kapitalinvestitionen kaum steigen und die arbeitende Bevölkerung in den kommenden Jahren sogar sinken wird, ist Produktivität das, was noch wachsen und das Land weiterbringen könnte. 

Technologiesprünge und das Ende der Dynamik

Früher war das noch einfach. Nach dem Zweiten Weltkrieg war Deutschland am Boden. Als dann VW-Käfer vom Band rollten, mehr Menschen eine bessere Schulbildung bekamen und die bekannten 50er-Jahre-Häuser entstanden, wuchs ebenso die Produktivität.

Das Potenzial zum Produktivitätswachstum ist also auch abhängig davon, wie gut es dem Land vorher ging – ähnlich einer baufälligen Immobilie, die Makler gerne als Haus mit „viel Potenzial“ anpreisen, gilt dies auch für Volkswirtschaften, die noch wenig produktiv sind.

Deutschlands Konjunktur und die Ampel 09.54

Weitere Schübe gibt es bei sogenannten Technologiesprüngen. In den 1990er-Jahren gab es so einen, als sich Computer und das Internet verbreiteten und die Kommunikation dramatisch vereinfachten.

Menschen absichern statt Arbeitsplätze

Als sich aber 2016 das Produktivitätswachstum in der gesamten EU schon mehrere Jahre von einem Tiefpunkt zum nächsten geschleppt hatte, verdonnerte sie die Mitgliedsländer, Gremien einzurichten, um die Produktivität zu steigern. Seither sollen Ökonomen statt Ingenieuren an den Stellschrauben drehen. Und so treffen sich jährlich in ganz Europa Wirtschaftsprofessoren mit Unternehmensvertretern und Politiker zu Produktivitätsdialogen, um zu diskutieren, warum die Produktivitätszuwächse so gering sind und wie sich die Produktivität steigern ließe.

„In der Finanzkrise und während der Covid-19-Pandemie haben viele Unternehmen in Deutschland erfolgreich Fachkräfte gehalten, damit sie sofort wieder loslegen konnten, sobald die Nachfrage anzog oder die Lieferketten wieder funktionierten“, sagt Professor Werding. Die Unternehmen horteten Arbeitskräfte, die anderen Branchen dann nicht zur Verfügung standen. So können sie ihre Fähigkeiten nicht dort einbringen, wo sie am produktivsten wären. 

Aber oft fehlt es vor Ort auch einfach an Branchen, in denen es große Produktivitätssteigerungen noch gibt. „Branchen, die früher ein stärkeres Produktivitätswachstum hatten wie der Maschinen- und Fahrzeugbau, sind also nicht verschwunden, sondern entwickeln sich heute weniger dynamisch“, sagt Werding. Und dazu komme noch der demografische Wandel. „Als besonders produktiv erweisen sich altersgemischte Teams“, sagt Werding. Die Älteren hätten Erfahrungswissen. Die Jüngeren frisches Fachwissen. „Das Problem mit dem demografischen Wandel ist, dass erfahrene Arbeitskräfte immer noch gerne vorzeitig in Rente gehen, während es zusehends schwerer wird, jüngere Kräfte zu finden.“ 

Jan Mischke, Partner beim McKinsey Global Institute, befasste sich jüngst ebenfalls mit dem ausbleibenden Produktionswachstum in verschiedenen Ländern. Es müsse einfacher werden, Beschäftigte in die produktivsten Rollen und Bereiche zu bringen, sagt er. „Der Fokus sollte auf der Unterstützung von Menschen bei der Fortbildung und Suche nach neuen Arbeitsplätzen liegen, anstatt beim Erhalt von Arbeitsplätzen, die auf Dauer nicht wettbewerbsfähig scheinen“, so Mischke. 

„Die derzeitige Investitionsschwäche ist mehr als verständlich“

Er hält es für wichtig, dass Deutschland vermehrt auf Wirtschaftsfelder setzt, in denen Wachstum und Produktivität höher sind. Dazu zählten etwa Robotik und Biotechnologie. Außerdem müsse man künstliche Intelligenz quer durch alle Branchen einsetzen und so auch weniger produktiver Branche produktiver machen. „Dafür müssen die Renditeaussichten für in- und ausländische Investoren attraktiv sein.“

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Doch dazu müssen sich die Rahmenbedingungen in Deutschland ändern. Es mangelt an Investitionen. Die Lohnnebenkosten steigen, weil die alternde Bevölkerung die Sozialabgaben in die Höhe treibt. Die Unsicherheit über die Zukunft der Energieversorgung und die Entwicklung der Energiepreise hielten Investitionen in Innovationen ebenso zurück, sagt auch Professor Werding. „Die derzeitige Investitionsschwäche ist mehr als verständlich“, resümiert er.

All diese Stellschrauben, an denen man drehen müsste, damit die Produktivität wächst, kennen die Wirtschaftsexperten seit Jahren. Sie wiederholen sie auf ihren Produktivitätsdialogen und in immer neuen Studien: Menschen und Maschinen müssen in den richtigen Jobs und Industrien eingesetzt werden, die Arbeitnehmer eine gute Ausbildung erhalten und Politiker müssen Deutschland für Zukunftsinvestitionen attraktiv machen. Doch auch wenn die Probleme und ihre Lösungen schon seit Jahren ausgemacht sind, gilt vermutlich auch für die nahe Zukunft: Über Produktivität zu reden ist leichter, als ein ganzes Land produktiver zu machen.