Die 2023 begonnene „Together Again“-Welttournee von Janet Jackson sollte zum 50-jährigen Bühnenjubiläum die Karriere des Stars wieder ankurbeln. Klappt das?
Ich war etwa zwölf Jahre alt und trug eine Tattoo-Kette um den Hals, als Janet Jacksons Track die Charts einrannte: „Together Again“ ließ meiner pubertätspessimistischen Mimik eine verdiente Pause und sorgte in meinem Gesicht für Entspannung, wenn das Video auf MTV über die Mattscheibe unseres Röhrenfernsehers lief. Schimmernd hell leiten die Töne eines Klangspiels vom Synthesizer hin zum federnden, fast treibenden elektronischen Beat, der – man spürt ein Knistern der inneren Spannung, kann kaum noch erwarten, Janets Stimme einsetzen zu hören – theaterartig den Vorhang zu einem erstklassig soften Dance-Pop-Song öffnet. Die volle Packung 90er. Definitiv hymnenverdächtig. Dass Janet Jackson den Song, der 1997 auf ihrem gefeierten Album „The Velvet Rope“ erschien, als Hommage an einen engen Freund schrieb, der an Aids starb, lässt die melodiöse Leichtigkeit des Songs wirklich nicht vermuten.
26 Jahre später betitelt Janet Jackson ihre Welttournee nach diesem Hit. „Together Again“ ergibt Sinn in seiner Doppeldeutigkeit: ein Song, der ihre Karriere prägte, und buchstäblich ein Wiedersehen mit ihren Fans, die sie nach einem long time no see endlich wieder zu ihren Füßen liegen wissen will. In den USA gelang ihr das bereits: Die Welttournee, die 2023 in Hollywood startete und sich bis in diesen Sommer ausschließlich durch Nordamerika schlängelte, galt als restlos ausverkauft. Nach ihrer abgebrochenen „Unbreakable World Tour“ im Jahr 2015, die sie dann nicht mehr nach Deutschland führte, ist es nun also das erste Mal seit 2011, dass Janet Jackson auch hierzulande wieder die Bühne betritt. Nach Paris, London, Antwerpen und weiteren europäischen Metropolen begann ihre Deutschland-Durchreise vor Köln und Berlin am Samstag in München. In der Stadt, für die in diesem gigantischen Popkonzert-Sommer kein Limit galt, nachdem sie Adele eine maßgeschneiderte Bühne mit einer 220 Meter langen Wand aus LED-Screens errichtete und Taylor Swift neben 75.000 Swifties im Stadion auch noch 42.000 Fans auf den benachbarten Olymbiaberg setzte, was selbst US-Nachrichten vom „Taylorgate in Munich“ schreiben ließ. Da kommt die kleine Olympiahalle, in der Janet Jackson gestern auftrat, mit knapp 13.000 Plätzen geradezu bodenständig daher.
Lücken im Zuschauerraum
Die Konzertbesucher – ein großer Teil im etwa selben Alter der Künstlerin – schienen sich an diesem Abend nicht an irgendeiner Bescheidenheit des Set-Ups zu stören. Auch nicht daran, dass sich Janet Jackson erst vor knapp zwei Wochen mit einer unangebrachten wie aufgewärmten Fehlinformation, ursprünglich aus dem Trump-Lager heraus verbreitet, über die ethnische Identität von Kamala Harris geäußert hatte, was für veritable Shitstorms und ein für die Jacksons typisches PR-Desaster sorgte. In München jedenfalls sah man ihr das gestern nach. Das ließ zumindest die frenetische Stimmung vermuten, die Janet Jackson um Punkt 21 Uhr empfing. Das Publikum war trotz lautem Jubel überschaubar – viele Plätze waren leer, Lücken klafften in den Rängen. Das hintere Drittel der Halle war abgehängt, was ihre Dimension noch weiter schrumpfen ließ.
In einem ausladenden Daunenmantel, dessen Volumen und Länge an die moderne Version eines Krönungsornats erinnerten, und ohne viele Worte zu verlieren, machte sich Janet Jackson an ihre Setlist. Bei einer Frau, die fast so viele Nummer-1-Hits wie Jubiläumsjahre zählt, wirkte es verwunderlich, dass es mindestens sieben gänzlich unbekannte Tracks brauchte – eine ineinandergreifende Abfolge wie von DJ-Hand gemixter House-Sounds – ehe der erste ihrer großen Hits zu hören war, „Got ‚til it’s done“, für die – Hand aufs Herz – schließlich jeder dort war. Am Ende wollen doch alle die 80er-, die 90er-, die 00er-Janet, alle sehnen sich nach „All for you“ und „Whoops now“.
Janet Jackson lieferte einen Hit nach dem anderen
Doch dann rollten sie alle lawinenartig ein – mit energiegeladener Präsenz Janet Jacksons. Sie fuhr das volle Programm auf: von elektrisierenden Tönen in „Nasty“ und „Control“ über den Groove in „That’s the way love goes“ bis zum süßlich-gesäuselten „Again“. Während „Scream“ band sie über das legendäre Musikvideo sogar ihren verstorbenen Bruder Michael mit ein. „Together Again“ hob sich Janet Jackson als letzte Zugabe auf, die Menge bildete einen Chor, auch mein zwölfjähriges Ich wachte auf und ließ sich vom Stuhl reißen. Während die Screen- und Lichtershow nahezu das gesamte Bühnenbild bestimmte und in ihrer Schlichtheit modern wirkte, konnte man das von der Dance-Kombo nicht behaupten. Das Bild von fünf halbnackten, irgendwelche Stühle und die Sängerin ständig umgarnenden, ihr in den Schritt fassenden Tänzern, wirkte vollkommen aus der Zeit gefallen. So plump, dass es fast schon wieder Absicht sein musste. Die Entscheidung, sie im Grande Finale in albernen Lederhosen auftreten zu lassen – ja, die Welt hat verstanden, dass München auf Tracht und das Oktoberfest reduziert werden sollte – machte das choreografische Gesamtbild nicht unbedingt eindrucksvoller.
Musikalisch war ihre Show ein Speedrun. Knapp 40 Songs in nicht mal zwei Stunden, kein Durchatmen. Jeder Song führte das Publikum in eine andere Ära ihres künstlerischen Schaffens, verdeutlichte ihre Vielseitigkeit als Performerin. Und ihren absoluten Willen, für all das nochmal gefeiert zu werden. Warum auch nicht? Weltstarhistorie hat Janet Jackson schließlich zu bieten.
Reichen ausgelöste Retro-Gefühle für eine Karriere-Renaissance?
Mit mehr als 180 Millionen verkauften Tonträgern ist sie eine der meistverkauften Künstlerinnen aller Zeiten. Nicht zu vergessen die fünf Grammys, die Oscarnominierung, die unzähligen MTV- und Billboard-Auszeichnungen. Der Veranstalter ergießt sich im Pressematerial über eineinhalb Seiten in Award-Auflistungen bis hin zu sperrigen Tatsachen, dass Jackson neben Barbra Streisand, Bruce Springsteen und U2 eine von nur vier Künstlern war, die vier Jahrzehnte hintereinander ein Album auf Platz 1 hatten. Machen wir es kurz: Janet Jackson ist eine Legende, eine Pop-Ikone, ein Superstar, der Größen wie Beyoncé und Rihanna musikalisch beeinflusste.
Hinter vorgehaltener Hand erzählt man sich, es sei eine Tournee, die dazu diene, die kaum noch glimmende Karriere-Glut erneut zu entfachen, als Auftakt zur neuen Las-Vegas-Show, die im Anschluss starten soll. Eine Karriere, die einst nach „Nipplegate“, als Justin Timberlake Jackson das Oberteil herunterriss und sie entblößte, nach und nach ein Ende nahm. Sicherlich, Janet Jackson gab ihren Retro-Fans genau das, was sich diese von einem Jubiläumskonzert-Konzert erhofft hatten. Nun ist aber Janet Jackson ein Star, dessen popkulturelle Bedeutung sich auch daran misst, sich als eine der ersten Frau im Showbusiness zu Themen wie Rassismus und Homosexualität geäußert zu haben. Da hätte es heute mehr gebraucht als ein XXL-Medley aufgewärmter Nummer-1-Tracks. Findet mein 38-jähriges Ich.
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