Nach der ersten Runde der Präsidentschaftswahl in Moldau und einer zeitgleichen Abstimmung zum angestrebten EU-Beitritt hat die pro-europäische Staatschefin Maia Sandu einen „beispiellosen Angriff“ auf die Demokratie für den knappen Ausgang des Referendums verantwortlich gemacht. Laut den am Montag veröffentlichen Ergebnissen stimmte nur eine dünne Mehrheit dafür, das Ziel der EU-Mitgliedschaft in der Verfassung zu verankern. Auch lag Sandu in der Präsidentenwahl nicht so klar vorn wie erwartet.
Sandu bezog sich mit ihrem Vorwurf auf mutmaßliche russische Wahleinmischungen. Auch die EU warf Moskau eine „beispiellose Einflussnahme“ vor. Der Kreml sprach hingegen von „Unregelmäßigkeiten“ zugunsten Sandus und der EU-Befürworter.
Nach Auszählung von 99 Prozent der Stimmen entfielen bei dem Referendum lediglich 50,28 Prozent auf das „Ja“, 49,92 Prozent votierten gegen den EU-Beitritt als Verfassungsziel. Bei der Präsidentschaftswahl kam Sandu zwar auf mehr als 42 Prozent. Doch war der Kandidat der russlandfreundlichen Sozialisten, Alexandr Stoianoglo, mit 26 Prozent erfolgreicher als erwartet. Gegen ihn tritt Sandu voraussichtlich am 3. November in einer Stichwahl an.
An dem Referendum nahmen fast 50 Prozent der Wahlberechtigten teil, womit das Quorum für die Gültigkeit deutlich überschritten wurde. Bei der Präsidentenwahl lag die Beteiligung laut Wahlkommission bei 51,6 Prozent.
Moldau sei „heute und in den vergangenen Monaten mit einem noch nie dagewesenen Angriff auf die Freiheit und Demokratie in unserem Land konfrontiert“, sagte Sandu vor Journalisten in der Hauptstadt Chisinau. „Kriminelle Gruppen, die mit ausländischen Kräften zusammenarbeiten“ versuchten, „den demokratischen Prozess zu untergraben“.
Kreml-Sprecher Dmitri Peskow nannte dies „ziemlich ernste Anschuldigungen“. Er forderte Sandu auf, dafür Beweise vorzulegen. Zugleich sprach Peskow von einem „schwer zu erklärenden Anstieg“ der Ergebnisse zugunsten Sandus und der Verfassungsänderung.
Der Sprecher des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell, Peter Stano, sagte indessen in Brüssel, die Abstimmungen in dem Nachbarland der Ukraine hätten „unter beispielloser Einmischung und Einschüchterung durch Russland und seine Vertreter“ stattgefunden. Bereits Monate vorher seien die Wähler nach EU-Informationen „massiver Propaganda aus Russland und von russischen Stellvertretern“ ausgesetzt gewesen.
Die Bundesregierung wollte das Wahlergebnis vor Veröffentlichung des amtlichen Endergebnisses nicht näher kommentieren. Deutschland sehe jedoch, „dass Russland und auch prorussische Akteure in großem Umfang versuchen, Moldau zu destabilisieren“, sagte Vize-Regierungssprecherin Christiane Hoffmann. „Wir verurteilen diese anhaltende Manipulation und Versuche der Einflussnahme auch auf eine demokratische Wahl und letztlich auf die Entscheidungsfindung der moldauischen Bevölkerung.“
Präsidentin Sandu beschuldigt Moskau immer wieder, sich politisch in der ehemaligen Sowjetrepublik einzumischen. Anfang des Monats hatte die moldauische Polizei einen groß angelegten Wahlbetrug aufgedeckt, bei dem mehr als 100.000 Menschen bestochen worden sein sollen, um im Sinne Moskaus abzustimmen.
Nach Einschätzung des moldauischen Politikinstituts WatchDog hat Moskau allein in diesem Jahr mehr als 100 Millionen Dollar (92 Millionen Euro) für Einmischungen in die moldauische Politik ausgegeben. Der Kreml wies alle Vorwürfe „kategorisch“ zurück.
Das kleine südosteuropäische Land mit 2,6 Millionen Einwohnern grenzt an die Ukraine und an Rumänien. Seit Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine im Februar 2022 befürchten viele Moldauer, dass Russland ihr Land als nächstes angreifen könnte. Sorge bereitet vielen auch die Lage in der russischsprachigen Region Transnistrien, die sich nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion von Moldau abgespalten hatte.
Sandu ist seit 2020 im Amt. Die frühere Ökonomin der Weltbank hat die Beziehungen zu Russland abgebrochen. Kurz nach dem russischen Überfall auf die Ukraine beantragte sie den EU-Beitritt Moldaus. Seit Juni laufen die offiziellen Beitrittsgespräche zwischen Brüssel und Chisinau.
Florent Parmentier, Politikwissenschaftler an der Pariser Elite-Hochschule Sciences Po, bezeichnete den Ausgang des EU-Referendums als „Überraschung“. Das knappe Ergebnis schwäche „das pro-europäische Image der Bevölkerung und der Führung von Maia Sandu“.