Am Montag verabschiedet sich Alexandra Popp in Duisburg mit ihrem 145. Länderspiel aus der deutschen Nationalmannschaft. Eine Verbeugung vor der Ausnahmespielerin.
Natürlich hat die Frage kommen müssen. Alexandra Popp saß mit offenen Haaren im Trainingszentrum des VfL Wolfsburg, auf die Minute pünktlich hatte die Pressekonferenz am vergangenen Mittwoch begonnen. Und obwohl die 33-Jährige im Fußball gefühlt alles an emotionalen Aus- und vor allem auch Rückschlägen erlebt hat, schien sie ein bisschen überrascht, als sie aufgefordert wurde, die schönsten Momente ihrer Karriere aufzählen sollte.
Eigentlich werden das die Akteure, die es im Profisport zum Ikonenstatus gebracht haben, zum Abschied doch immer gefragt. Die langjährige Kapitänin der Frauen-Nationalmannschaft kratzte sich kurz am Kopf und kramte in ihrer Erinnerungen. Also: Zuerst einmal ihr erstes Länderspiel, am 17. Februar 2010 gegen Nordkorea in Duisburg, „als kleines Mädchen, ohne Körperspannung, mit schlottrigen Knien“.
Alexandra Popp: Deutschlands bekannteste Fußballerin
Rührend, wie sich Deutschlands bekannteste Fußballerin fast anderthalb Jahrzehnte später selbst auf die Schippe nimmt. Sie war damals schließlich kein kleines Mädchen, sondern ein aufstrebendes Talent. Wer den Frauenfußball zu diesem Zeitpunkt bereits verfolgte, bekam eine Ahnung von dem, was kommen sollte: Bei der U 20-WM 2010 in Deutschland machte sich die an der Gesamtschule Berger Feld mit lauter Jungs vom FC Schalke 04 ausgebildete Draufgängerin bereits einen Namen. „Poppi“ erzielte in jenem Nachwuchsturnier in jedem Spiel ein Tor und erhielt den „Goldenen Schuh“ für die beste Torschützin und den „Goldenen Ball“ für die beste Spielerin.
Die Himmelsstürmerin war in jenem Sommer erstmals in aller Munde. Die damalige Bundestrainerin Silvia Neid fand den Rummel zwar ein bisschen eigenartig, aber sie konnte gar nicht anders, als die junge Angreiferin für die WM 2011 ins A-Team zu berufen. Doch die Heim-WM geriet zum Reinfall. Raus im Viertelfinale gegen Japan. Übrigens in Wolfsburg.
Ihr Markenzeichen: der Kopfball
Damals nahm die dreimalige Weltfußballerin Birgit Prinz eher unrühmlich Abschied. Die Rekordtorjägerin (214 Länderspiele, 128 Tore) verlor ihren Stammplatz – und an Rückhalt. Jetzt, wo Popp selbst ihr Abschiedsspiel gegen Australien in Duisburg (Montag, 18.10 Uhr/ZDF) bestreitet, erinnert sie sich daran, wie sie bei ihrer ersten Teilnahme am Algarve-Cup mit Prinz auf einem Zimmer wohnte: „Das war natürlich etwas Besonderes.“
Nur die verstorbene Heidi Mohr und eben Prinz haben für die DFB-Frauen häufiger getroffen als Popp mit ihren 67 Toren. Dazu kommt ihr noch die Goldmedaille bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro als schönstes Erlebnis in den Sinn oder ihr Kopfballtor 2010 gegen Kanada, als sie erstmals mit dem Kopf „so fest wie ein Schuss“ erfolgreich war.
Es sollte zu ihrem Markenzeichen werden: Deutschland wäre nie und nimmer bei der EM 2022 ins Finale gekommen, wenn sich die 1,74 Meter große Mittelstürmerin, die in jener Phase im Verein meist nur im Mittelfeld spielte, nicht die Lufthoheit auf der Insel erobert hätte.
Auf und ab – immer wieder
Vor jener EM hatte sie sich aus einer Leidenszeit nach einem Knorpelschaden im Knie herausgekämpft, in der Vorbereitung noch Corona überstanden – und dann doch im Finale gefehlt. Muskelverletzung beim Abschlusstraining. Der letzte Schuss auf heiligem Rasen missriet. Auch das passte in die Karriere. Auf und ab. Immer wieder.
Nie würde sich die im Ruhrgebiet sozialisierte Popp, in Witten geboren, in Gevelsberg aufgewachsen, auf die Zunge beißen. Die beliebte Fußballerin hatte keine einfache Anfangszeit: Ihre Eltern hatten finanzielle Probleme, und Popp gab das Geld für ihre ersten DFB-Lehrgänge gleich wieder in der Familie ab. Aus dieser Zeit rührt ihre Bodenständigkeit. Noch so ein Markenzeichen, genauso wie ihre Direktheit. Wenn sie sich ungerecht behandelt fühlt, muss es raus. Auf dem Platz und außerhalb. Wenn sie zu etwas nicht taugt, dann für den diplomatischen Dienst.
Popp warnt: Zustände im Frauenfußball zu sehr wie bei Männern 10:33
In ihrer offiziellen Rücktrittserklärung sprach sie martialisch davon, dass ihr Körper „eine tickende Zeitbombe“ sei. Das war genauso gemeint. „Durch meine Art Fußball zu spielen, die ja jetzt nicht gerade sanft ist, habe ich einen relativ hohen Preis gezahlt.“ Ihre Verletzungen seien ja „kein Geheimnis mehr, aber dafür macht mir der Fußball viel zu sehr Spaß, um deswegen aufzuhören“. Auch dieser Tage steht sie wegen ihres lädierten Fußes stets mit Schmerzen auf. Der Morgenspaziergang mit dem Hund hilft, „ins Rollen zu kommen, damit alles geölt wird“.
Was hält die Zukunft für Alexandra Popp bereit?
Und wenn es doch von heute auf morgen nicht mehr geht? „Selbstverständlich kann ich mir vorstellen, im Fußball zu bleiben.“ Weder über Funktion noch Position hat sie sich angeblich Gedanken gemacht. Aber warum als meinungsstarke Persönlichkeit nicht Expertise vor dem Fernsehpublikum weitergeben? Ihre langjährige Weggefährtin Almuth Schult, die jetzt noch einmal mit der Familie in die USA gezogen ist und bei Kansas City Current spielt, hat genau diesen Rollenwechsel vollzogen.
Popp ist vielleicht zur wichtigsten Figur geworden, die der deutsche Frauenfußball je hatte. Sie kam sogar bei „Wetten, dass …?“ unverkrampft rüber, obwohl sie damals ganz schön Lampenfieber hatte. Den Part als Sprachrohr, das sich für Frauenbelange auch über den Sport hinaus einsetzte, hatte sie lange vorher schon übernommen.
Popps Vertrag beim VfL Wolfsburg läuft zum Saisonende aus, und eigentlich wäre es nur logisch, wenn die „Leitwölfin“ trotz aller Verbundenheit nicht verlängert. Sogar eine Station im Ausland, zuvor immer kategorisch ausgeschlossen, kommt für sie noch in Betracht. Bis zum Winter will sich die Torjägerin mit den Allroundqualitäten entscheiden. Irgendwann, das weiß sie schon heute, möchte sie wieder ein freies Wochenende haben, „sesshaft werden“, wie sie betont: „Ich habe keine Lust mehr, so viel zu reisen.“
Leidenschaft für Tiere
Ein zweites Betätigungsfeld könnte irgendwann die Tierpflege sein. In keiner Dokumentation fehlen die Bilder, wie sie nach ihrem Wechsel 2012 zum VfL Wolfsburg parallel die Ausbildung zur Zootierpflegerin absolvierte. Sie meisterte den anstrengenden Spagat zwischen Stall und Spielfeld. Dass sie von selbst dieses Standbein erwähnt, zeigt auch, welche Leidenschaft dahintersteckt. Es war die Kapitänin Popp, die bei der WM 2023 in Australien die Mitspielerinnen in einem selbst erstellten Leitfaden über Schlangen, Spinnen und Koalas aufklärte.
Bei jenem Turnier wirkte sie wie eine Einzelkämpferin, die am Ende scheitern musste: Sie sollte hinten retten, in der Mitte die Fäden ziehen, vorn den Ball ins Tor wuchten – und die Elfmeter schießen. Das von Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg entworfene „Alles-auf-Popp“-Prinzip konnte nicht gutgehen.
Das peinliche Vorrunden-Aus, dazu die atmosphärischen Störungen– sie haben auch die durchaus harmoniebedürftige Anführerin irritiert. Nicht nur einmal trug sie sich mit Abschiedsgedanken aus dem Nationalteam. Als eine der ersten schlug sie 2018 dem DFB vor, noch einmal Horst Hrubesch zurückzuholen. Weil Präsident Bernd Neuendorf und der im Frauenfußball ahnungslose Geschäftsführer Andreas Rettig keinen besseren Einfall hatten, kam es genauso.
Tränen nach der Bronzemedaille
Hrubesch habe sie dann sehr bald darauf festgenagelt, bis zu den Olympischen Spielen durchzuhalten: „Wenn wir es beenden, dann zusammen.“ Die Allianz half, in Paris noch einmal eine Plakette zu ergattern: Popp hatte die Bronzemedaille noch gar nicht in den Händen, da flossen die Tränen in Sturzbächen. „Es war bei Olympia nach Abpfiff nicht ganz normal, was aus mir herausgesprudelt ist. Da war mir schon klar, dass es mein letztes Turnier ist.“ Hrubesch-Nachfolger Christian Wück konnte sie nicht mehr umstimmen.
Popp teilte am 30. September mit: „Das Feuer, welches vor 18 Jahren in mir entfacht und von Jahr zu Jahr stärker wurde, ist nun fast ausgebrannt.“ Auch, weil sie auf der Zielgeraden die Schattenseiten der Popularität spürte: „Privatleben gibt es gefühlt nicht.“ Dass sich insbesondere nach der EM in England alles auf sie stürzte, hatte die Vorzeigefigur zwar nicht gewollt, aber irgendwie doch gefördert. Etwa, als sie auf der Pressekonferenz in Watford vor dem Finale sich einen Schnurrbart aufklebte, weil ein Satire-Magazin gefordert hatte, sie solle als Alexander Bopp auch zur Männer-WM fahren. Der Spaß saß. Das Bild fehlte tags darauf in keiner Zeitung.
Heute wird sie privat überall und immerzu erkannt. Einfach mal entspannt nach Berlin fahren, um in Ruhe shoppen zu gehen – das funktioniert nicht mehr. Sie werde angesprochen, wo „man eigentlich ja mal gerne abschalten möchte von diesem ganzen Trubel“. Der Auflauf zu ihrem Abschiedsspiel macht sie dennoch stolz. In der Heimstätte des MSV Duisburg versammelt sich eine Kulisse, von der die „Zebras“ im harten Alltag der Regionalliga West nur träumen können. Fußball-Deutschland verneigt sich vor einer Vorbildfigur. Die Lücke, die Popp bei den DFB-Frauen hinterlässt, wird niemand so schnell schließen können. Dass sie für ihr 145. Länderspiel genau dort ein letztes Mal aufläuft, wo es einst im Nationalteam losging, rührt die „Fußball-Romantikerin“ zutiefst: „Es gibt nichts Schöneres, dort das Ganze zu beenden, wo es auch angefangen hat.“