Seit drei Jahren arbeitet eine Unabhängige Kommission Fälle sexualisierter Gewalt im Bistum Erfurt auf. Jetzt stellte sie erste Zwischenergebnisse vor und spart dabei auch Kritik am Bistum nicht aus.
Die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch Minderjähriger im Bistum Erfurt geht derzeit von weit mehr als 60 Opfern aus. Dabei würde es sich überwiegend um männliche Betroffene handeln, sagte die Vorsitzende der Kommission, Ulrike Brune. Sie rechnet jedoch mit einem Dunkelfeld: „Wir müssen leider annehmen, dass die uns vorliegenden Akten nur einen Bruchteil der tatsächlichen Vorkommnisse widerspiegeln.“
Dem Gremium liegen laut Brune Hauptakten zu 50 namentlich benannten Beschuldigten vor – 20 davon seien Kleriker, von denen dem Bistum zufolge noch sieben Priester leben. Als Konsequenz daraus sei ein Priester suspendiert worden, ein anderer dürfe nur unter strengen Auflagen arbeiten, sagte Bischof Ulrich Neymeyr.
Bei den Taten, die den Beschuldigten vorgeworfen werden, gehe es um die ganze Palette sexualisierter Gewalt, sagte Brune. Diese reichten von Grenzverletzungen zum Beispiel durch bedrängende Fragen oder Berührungen bis hin zur sexuellen Belästigung und schwersten Sexualstraftaten. Derzeit werde von 25 sexuellen Übergriffen sowie in sieben Fällen von Vergewaltigungen ausgegangen. Staatsanwaltliche Ermittlungen seien meist wegen Verjährung eingestellt worden.
Kinderheime und Messdiener besonders betroffen
Überdurchschnittlich viele der damaligen Betroffenen waren laut Brune in einem Kinderheim, einem Waisenhaus oder einem Altenheim untergebracht – nicht selten seien auch die dortigen Ordensschwestern in Missbrauchshandlungen involviert gewesen. Auch die Zahl derjenigen, die als Messdiener sexuellem Missbrauch ausgesetzt gewesen seien, rage heraus. „Immer wieder stellen wir fest, dass Geistliche, aber auch im kirchlichen Dienst stehende Nichtkleriker, die enge Anbindung an Minderjährige suchen“, sagte die Kommissionsvorsitzende.
Brune mahnte im Bistum, in den Kirchgemeinden, in kirchlichen Einrichtungen und insbesondere in Kinderheimen Strukturen an, die es Kindern und Jugendlichen leicht machten, ihre Not zum Ausdruck zu bringen. Auch müssten die kirchlichen Träger ihre Einrichtungen engmaschig durch fachkundiges Personal betreuen. Das Bistum Erfurt habe jedenfalls in der Vergangenheit in aller Regel nicht adäquat auf bekanntgewordenes Fehlverhalten reagiert, so das bisherige Fazit der Kommission.
Neue Fälle und finanzielle Entschädigungen
Bischof Neymeyr verwies darauf, dass der Kommission für ihre Arbeit alle relevanten Akten uneingeschränkt zur Verfügung gestellt wurden. Seit der Einsetzung der Kommission seien weitere Beschuldigungen vorgebracht worden, die bis heute fünf Kleriker als Täter betreffen würden, sagte der Bischof.
Zudem verwies er darauf, dass bislang im Zuge der Aufarbeitung rund 338.500 Euro als Entschädigung an die Betroffenen gezahlt worden seien. Neymeyr rief mögliche weitere Betroffene dazu auf, sich zu melden. Die Kommission untersucht seit drei Jahren Fälle von sexuellem Missbrauch im Bistum Erfurt von 1945 bis zum Oktober 2021, dem Zeitpunkt ihrer Konstituierung. Sie arbeitet noch bis 2026 weiter an der Aufklärung der Fälle.
Kritik an Zensur des Jahresberichts
Streit gibt es zwischen der Kommission und dem Bischof über die gekürzte Veröffentlichung ihres Jahresberichts 2023. Neymeyr begründete das damit, dass die ungekürzte Veröffentlichung aus Datenschutzgründen nicht möglich sei. Dem widersprachen die Kommissionsmitglieder, die Persönlichkeitsrechte aufgrund der Anonymisierung gewahrt sehen. Die Kommission beklagte zudem einen nach wie vor fehlenden unabhängigen Internetauftritt, zudem habe sie bislang noch keine vom Bistum unabhängige Geschäftsstelle.