Quincy Jones spielte mit Ray Charles und Frank Sinatra, produzierte Michael Jacksons „Thriller“: Nun ist die Musiklegende im Alter von 91 Jahren gestorben.
Donald Trump? Ein verrückter Motherfucker. Marlon Brando? Ein charmanter Motherfucker. Harvey Weinstein? Ein Tyrann. Und wer ist der schlechteste Schlagzeuger aller Zeiten? Ringo Starr natürlich, der Ex-Beatle konnte keine vier Takte geradeaus spielen.
Man bräuchte keinen einzigen Ton von Quincy Jones hören, allein seine Interviews spielen schon eine ganz eigene Musik: Kompromisslos im Tenor, präzise im Timing und unterhaltsam ohne Rücksicht auf Verluste. Womöglich fühlt man sich so, wenn man, bildlich gesprochen, schon einmal auf den Mond geflogen ist – oder hat er es überhaupt nur bis zum Mond geschafft, weil er selbst eben auch ein außergewöhnlicher, Verzeihung, Motherfucker war?
Am 14. März 1933 in Chicago geboren, ist sein Lebensweg eigentlich vorgezeichnet: Seine Mutter ist psychisch krank. Sie wird in eine Heilanstalt gebracht, da ist Jones gerade mal sieben Jahre alt. Er wächst fortan bei seiner Großmutter auf, treibt sich mit den Gangs von Chicago herum und bekommt es schon früh mit Gewalt und Verbrechen zu tun. Doch es ist auch die Musik, für die sein Herz schlägt. „Mein kaputtes Elternhaus, der Alkohol, die Schlägereien, der allgegenwärtige Rassismus, all diesen Dinger gegenüber war ich machtlos“, so erzählt es Jones in der Netflix-Doku „Quincy“. „Die Musik war das einzige, was ich unter Kontrolle hatte.“
Quincy Jones – produktiv bis zum Umkippen
Ein Credo, das Jones fortan zum Grundton seiner Karriere macht, produktiv bis zum Umkippen, dabei visionär und einfallsreich, technisch hochversiert und groovy bis zur Halskrause. Mit Ray Charles gründet er als Teenager eine erste Band, später bekommt er ein Stipendium für das Bostoner Berklee College Of Music. Doch reizvoller als die harten Bänke des Konservatoriums sind für ihn die Polster der Tourbusse – im Tross von Jazz-Ikone Lionel Hampton ist er als Trompeter zum ersten Mal so richtig „on the Road“.
Doch dabei bleibt es nicht. Auf Tour in Europa sind die Säle voll, aber die Kassen chronisch leer. Er arbeitet mit Größen wie Jacques Brel und Charles Aznavour zusammen, spielt mit Frank Sinatra in Monaco. Doch die Produktionskosten für das vielköpfige Orchester sind immens, und so kehrt Jones Anfang der 60er ziemlich pleite in die Staaten zurück und nimmt einen „richtigen“ Job an. Als Vizepräsident des Mercury-Labels ist er der erste Afroamerikaner auf solch einem Führungsposten.
Bob Geldof und Quincy Jones (r.) beim Steiger Award 2014: Umarmung für den Macher von „We Are The World“
Frank Sinatra lässt seinen Einfluss spielen
Mit Sinatra nimmt er „Fly Me to the Moon“ auf. Bei der ersten Mondlandung der Amerikaner ist dies, so erzählt es Astronaut Buzz Aldrin später, der erste Song, der dort oben gespielt wird. Ein großer Schritt für die Menschheit ist auch die Abschaffung eines Gesetzes in Las Vegas. Als Quincy Jones einen Auftritt dort ablehnt, weil Schwarze nicht in der Stadt übernachten dürfen, schaltet auch Sinatra sich ein, das Ergebnis: Die diskriminierende Regel fällt.
Mitte der 70er ein erstes Alarmzeichen, dass Quincy Jones ein paar Gänge herunterschalten sollte. Er erleidet eine Gehirnblutung, leidet lange unter den Folgen und kommt nur mühsam wieder auf die Beine. Doch der Warnschuss verhallt, Jones nimmt wieder Fahrt auf. Imposant, wie es ihm gelingt, die musikalischen Dekaden scheinbar mühelos nicht nur mitzugehen, ohne an Relevanz zu verlieren, sondern sie vielmehr in vorderster Reihe zu prägen.
Von Lionel Hampton zu Michael Jackson
Von der alten Schule mit Lionel Hampton, Count Basie und Sinatra hin zu Michael Jackson und den epochalen Grooves der späten 70er und 80er Jahre, scheint es für Quincy Jones ein logischer Schritt zu sein. Ein Alleskönner, ein Arrangeur, ein Mastermind mit feinstem Gehör – „Off the Wall“, „Thriller“ und „Bad“, das Jackson/Jones-Tandem sorgt für einige der stilprägenden Alben der Pophistorie schlechthin.
Mit dem Allstar-Projekt „USA For Africa“ und der Benefizhymne „We Are The World“ kombiniert Jones als Produzent Mitte der 80er Ambition mit Musik, auch das scheint ihm mühelos von der Hand zu gehen. Was ihm denn wohl nicht so gut gelungen wäre im Laufe seines langen Lebens, worin er gescheitert sei, wird in der Netflix-Doku gefragt. Quincy Jones lacht kurz auf. „Marriage“, lautet seine Antwort. Die Ehe, da wäre wohl Luft nach oben gewesen. Gedreht hat die Doku seine Tochter Rashida Jones, heute selbst eine überaus erfolgreiche Hollywood-Schauspielerin.
Quincy Jones mit Barack Obama 2011 im Weißen Haus: ein Award vom US-Präsidenten für sein Lebenswerk
© imago stock&people
Das Eheleben war nicht so gut arrangiert
In der Tat, so sicher Jones sich auch in den musikalischen Arrangements bewegte, das Eheleben als solches ging ihm angesichts seiner Umtriebigkeit nicht so elegant von der Hand. Dreimal ist er verheiratet, mit Jeri Caldwell in den 60ern, der Schwedin Ulla Andersson bis Mitte der 70er, bis Ende der 80er hält die Ehe mit Peggy Lipton. Jones hat Liebschaften und Affären, von 1991 bis 1997 lebt er mit Nastassja Kinski zusammen, die beiden haben eine Tochter, Kenya Kinski-Jones. Sieben Kinder hat Jones insgesamt, Quincy Jones III. ist der einzige Sohn unter sechs Mädchen.
Als wäre Jones nicht kreativ schon bis über beide Ohren beschäftigt, engagiert er sich Zeit seines Lebens auch politisch. In den 60ern supportet er Martin Luther King jr., er leitet Workshops und gründet das Black Arts Festival in Chicago. Zusammen mit U2-Sänger Bono setzt er sich für die Rechte der Afro-Amerikaner ein, er supportet Hillary Clinton und Barack Obama.
Jones spielt, kippt um, steht wieder auf
Musikalisch gibt es für ihn kein Innehalten, seine kreative Energie scheint nie zu versiegen. Er müsse mit dem Trompetenspiel aufhören, heißt es, sonst würde sich ein lebensbedrohlicher Splitter im Hirn lösen und ihn töten. Jones spielt weiter, kippt um, steht wieder auf – und nimmt an seiner eigenen Memorial-Veranstaltung als Überraschungsgast, als Überlebender, teil.
Neben seinen zahlreichen Soundtrack-Arbeiten wie etwa „In der Hitze der Nacht“ (1967), „Die Kaktusblüte“ (1969) und „Getaway“ (1972) oder den ikonischen Brazil-Kooperationen, hinterlässt er auch seinen Fußabdruck in der Geschichte des Hip-Hop. Er höre eine direkte Verbindung vom Bebop der 50er zum Rap der 90er, so Jones, der mit Größen wie Melle Mel, Ice-T und Dr. Dre zusammenarbeitet, später zum Mentor zeitgenössischer Größen wie Kendrick Lamar und Beyoncé wird.
„Ich bin für dich da“, sagt Jones in einer Filmszene zum sichtlich beeindruckten Lamar. „Jederzeit“, bekräftigt der alte Mann. Lamar ist gerührt, als Zuschauer hat man einen Kloß im Hals. Diese Verbindlichkeit, diese Empathie, sie war und ist etwas Beeindruckendes. Sie geht weit über das Musikalische hinaus und wird die Zeit überdauern.
Die Musik ist ohnehin für die Ewigkeit.