Der Pfarrer, den Jens Windel belastet, war ein Serientäter. Die Übergriffe des Geistlichen in den 80er Jahren hätten verhindert werden können, ist Windel überzeugt. Daher klagt er auf Schmerzensgeld.
Jahrzehntelang hatte Jens Windel verdrängt, was ihm ein katholischer Pfarrer der niedersächsischen Gemeinde Sorsum in den 1980er Jahren angetan hat. Der Geistliche, der auch Religionslehrer war, hatte den Neunjährigen als Messdiener angeworben. Danach kam es laut Windel dann immer wieder zu sexuellen Übergriffen im Pfarrhaus. „Es waren Vergewaltigungen“, sagt der 50-Jährige. „Im Alter von neun bis elf Jahren konnte ich die Übergriffe überhaupt nicht einordnen. Aber es fühlte sich falsch an und schmerzte.“
Windel fordert jetzt per Klage vom Bistum Hildesheim ein Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 400.000 Euro. Außerdem soll die Kirche alle künftigen materiellen Schäden wie Heilbehandlungskosten oder Verdienstausfall ersetzen. Das Bistum beantragte die Abweisung der Klage. An diesem Freitag (8. November, 11.00 Uhr) wird der Fall im Landgericht Hildesheim verhandelt. Eine Entscheidung wird laut einem Gerichtssprecher an diesem Tag nicht erwartet.
Missbrauchsopfer: „Man kommt an seine Grenzen“
Vor dem Prozessstart geht es dem 50-Jährigen schlecht. „Man kommt an seine Grenzen, ich merke das jeden Tag. Es ist so belastend für den Körper. Bei mir schwellen immer wieder die Gelenke an“, erzählt der Verwaltungswirt, der sich erst 2013 auf Anraten seines Verhaltenstherapeuten beim Bistum gemeldet und seinen Fall bekanntgemacht hatte. Der Beschuldigte sei ein Serientäter. Inzwischen hätten sich 18 Personen gemeldet.
Damals stellte Windel den ersten Antrag auf Anerkennung des Leids, in vier Schritten erhielt er als Missbrauchsopfer insgesamt 50.000 Euro von der Unabhängigen Kommission für Anerkennungsleistungen (UKA). Windel möchte aber als schwerer Fall gewertet werden. Im Juni 2023 hatte das Kölner Landgericht dem Missbrauchsopfer eines Priesters 300.000 Schmerzensgeld zugesprochen. Das Urteil war die bundesweit erste Gerichtsentscheidung dieser Art. Windel klagt als erster Missbrauchsbetroffener gegen die katholische Kirche in Niedersachsen.
Bistum bestreitet Täterschaft des Beschuldigten nicht
Die Klageerwiderung des Bistums sei fürchterlich und „Opferverhöhnung“, sagt Windel. Das Bistum sieht die Vorwürfe als verjährt an und erläutert, dass keine schriftlichen Quellen und auch keine anderweitigen Hinweise dazu vorlägen, dass der beschuldigte Priester sexualisierte Gewalt gegen Herrn Windel ausgeübt habe. In anderen Fällen habe das Bistum Hinweise darauf, dass dieser Priester sexualisierte Gewalt gegenüber Minderjährigen verübt habe, weshalb das Bistum auch nicht grundsätzlich bestritten habe, dass er ein Täter war. Der Priester starb vor mehr als 20 Jahren.
Windel hatte vor dem Zivilprozess versucht, sich mit der Kirche außergerichtlich zu einigen. Diese Versuche lehnte der Hildesheimer Bischof Heiner Wilmer ab. In einem Interview 2023 bezeichnete Wilmer eine solche Einigung als „Mauschelei“.
Betroffene protestieren gegen Klageerwiderung
Die Betroffenen-Organisation „Eckiger Tisch“ kritisiert die Haltung des Bistums Hildesheim, das sich im Zivilverfahren darauf beruft, dass es keine schriftlichen Quellen für den Missbrauch von Jens Windel gibt, obwohl die Kirche bereits Anerkennungsleistungen zahlte. „Die Beweislastumkehr, die hier vorgenommen wird, scheitert schon daran, dass weder der Kläger noch eine unabhängige Stelle Zugang zu den Akten des Bistums hat und diese möglicherweise auch schon vernichtet wurden“, sagte Sprecher Matthias Katsch.
Bereits 65.000 Menschen haben laut „Eckiger Tisch“ eine Petition unterschrieben, welche die Deutsche Bischofskonferenz und die deutschen Ordensleitungen auffordert, bei Zivilklagen von Missbrauchsopfern auf die sogenannte Einrede der Verjährung zu verzichten. Betroffenen-Initiativen wollen in den Tagen vor der mündlichen Verhandlung mit Aktionen in Hildesheim gegen das Verhalten des Bistums im Fall Windel protestieren.