Ende der Ampel: Die brutale Abrechnung des Kanzlers mit seinem Finanzminister

Es platzte alles aus ihm raus: Nach dem Ampel-Bruch nannte Olaf Scholz seinen Finanzminister „kleinkariert und verantwortungslos“. Warum ließ er Lindner dann so lange gewähren?

 

Am Ende einer Koalition kann man keine Freundlichkeiten erwarten. Doch was Olaf Scholz sich für seinen Auftritt am Mittwochabend aufgeschrieben hat, ist eine geradezu brutale Abrechnung. Wenn ein Kanzler seinen Finanzminister mit der Begründung entlässt, er müsse Schaden vom Land abwenden, dann ist das der wohl härteste Vorwurf, den ein Regierungschef erheben kann. Er könne Lindners Verhalten „dem Land nicht länger zumuten“, sagt Scholz. Es ist ein Frontalangriff auf die Integrität des Ministers – aber auch das Eingeständnis seines eigenen Scheiterns.

Olaf Scholz spricht ruhig, als er gegen 21:20 Uhr im Kanzleramt vor die Presse tritt. Aber in seine Worte legt er die ganze Wut über das Ende der Ampel. Die Neuwahl im März könnte auch seiner Kanzlerschaft ein jähes Ende bereiten. Und zugleich gewährt Scholz in seiner Ansprache einen tiefen Einblick in das Innenleben dieser Koalition, deren Streitereien offenbar noch viel schlimmer waren, als es in all den vergangenen Monaten nach außen gedrungen ist.

Ganz konkret schildert Scholz erst einmal seine Sicht der vergangenen Tage, als die Koalition um ein Paket zugunsten der Wirtschaft rang. Christian Lindner habe sich „verantwortungslos“ verhalten, weil er sich einer Kompromisslösung verweigert habe, sagt Scholz. „Als Bundeskanzler kann ich das nicht dulden.“ 

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Doch genau diese Frage stellt sich, je länger man dem Kanzler zuhört: Wenn es stimmt, was Scholz in den nächsten Minuten noch über Lindner sagt – warum hat er das so lange hingenommen? Er habe immer wieder im Sinne des Landes auf Kompromisse gedrängt, auch bis an den Rand seiner eigenen Überzeugungen, sagt Scholz. Zu oft seien sie „durch öffentlich inszenierten Streit und laute ideologische Forderungen“ übertönt worden. Das klingt noch wie ein Rüffel gegen alle Koalitionäre. Doch der Kanzler sieht vor allem einen Schuldigen: „Zu oft hat Bundesminister Lindner Gesetze sachfremd blockiert. Zu oft hat er kleinkariert parteipolitisch taktiert.“

Olaf Scholz war 2021 stolz auf seine Ampel. Er hatte geschafft, woran Angela Merkel 2017 gescheitert war. Er hatte Grüne und FDP in ein Regierungsbündnis geholt. Dass die FDP dafür politisch den weitesten Weg zurücklegen musste, das wusste Scholz. Und er hat darauf Rücksicht genommen, zum Unmut der Grünen und zu Lasten seiner eigenen Partei. Immer wieder. Und wenn man ihm an diesem Abend glauben darf, noch viel häufiger als er es öffentlich oder auch in kleinen Runden bislang zugegeben hat. 

Olaf Scholz: Es gibt keine Vertrauensbasis mehr 

Denn der Kanzler ist noch lange nicht fertig mit seiner Abrechnung. „Zu oft hat er mein Vertrauen gebrochen“, sagt Scholz über Lindner. Auch die Einigung auf den Haushalt habe der Finanzminister einseitig wieder aufgekündigt, nachdem man sich in langen Verhandlungen bereits darauf verständigt habe. „Es gibt keine Vertrauensbasis für die weitere Zusammenarbeit“, stellt der Kanzler für sich fest. So sei „ernsthafte Regierungsarbeit nicht möglich“.

In einer Regierung müsse man seriös und verantwortungsvoll handeln, sagt Scholz, man dürfe sich nicht in die Büsche schlagen, wenn es schwierig werde, und müsse zu Kompromissen im Interesse aller Bürgerinnen und Bürger bereit sein. „Darum aber geht es Christian Lindner gerade nicht“, sagt Scholz und holt noch einmal den Hammer raus. „Ihm geht es um die eigene Klientel, ihm geht es um das kurzfristige Überleben der eigenen Partei.“ Später am Abend, als er seine Entscheidung der SPD-Bundestagsfraktion begründet, wird er diesen Vorwurf noch zuspitzen. Lindner habe nur Lösungen gewollt „auf Kosten der normalen Leute und zugunsten der Leute, die sehr viel Geld verdienen“.

„Nicht anständig und respektlos“

Auch die Vorschläge Lindners in seinem 18-seitigen Papier, über das vergangene Woche zuerst der stern berichtet hatte, macht der Kanzler vor der Presse runter. So habe der Finanzminister milliardenschwere Steuersenkungen für wenige Spitzenverdiener gefordert und zugleich Rentenkürzungen für alle Rentnerinnen und Rentner. Das aber sei „nicht anständig“. Lindner fordere auch Eingriffe bei den Sozialsystemen. Das aber sei „respektlos gegenüber allen, die sich diese Sicherheiten hart erarbeitet haben“.

Mehr als 20 Minuten spricht Scholz. Es ist die letzte Rede als Kanzler einer Ampel – und die erste als Wahlkämpfer für 2025. Der Kanzler wirkt entschlossen und wirft damit selbst die Frage auf: Warum ist er so nicht schon viel früher aufgetreten? Parteichef Lars Klingbeil jedenfalls verkündet später in der Bundestagsfraktion, dass nach der Rede von Scholz digital bereits 72 Anträge auf SPD-Mitgliedschaft eingegangen seien.

Christian Lindner braucht an diesem historischen Abend etwas Zeit, um sich die Antwort auf die Attacke des Kanzlers zurechtzulegen. Eigentlich sollte er schon um 21:30 Uhr auftreten, doch dann lässt er noch den grünen Ministern Robert Habeck und Annalena Baerbock den Vortritt, ehe er auf den Kanzler reagiert. 

Christian Lindner vermutet „kalkulierten Koalitionsbruch“

Er habe Vorschläge gemacht, um die Wirtschaft wieder „auf einen Erfolgskurs zu bringen“, so Lindner. SPD und Grüne hätten darüber nicht einmal beraten wollen. Stattdessen habe ihn der Kanzler ultimativ aufgefordert, die Schuldenbremse zu lockern. Das aber habe er nicht mitmachen können, „weil ich damit meinen Amtseid verletzt hätte“.

Neuwahlen wie 22.23

Auch Lindner bestätigt nun indirekt, dass der Riss in der Koalition schon viel länger nicht mehr zu kitten war. Olaf Scholz habe „lange“ die Notwendigkeit für einen wirtschaftlichen Aufbruch verkannt „und die Sorgen der Bürgerinnen und Bürger lange verharmlost“. Die Gegenvorschläge des Kanzlers zu seinem 18-Seiten-Papier, so Lindner seien „matt und unambitioniert“. Scholz habe „leider gezeigt, dass er nicht die Kraft hat, unserem Land einen neuen Aufbruch zu ermöglichen“.

Weil der Kanzler ein so langes und ausformuliertes Statement zur Verfügung gehabt habe, sei offensichtlich, dass es dem Kanzler nicht mehr um eine Einigung gegangen sei, „sondern um einen kalkulierten Bruch dieser Koalition“. Damit führe Scholz das Land in eine Phase der Unsicherheit.

Es ist ein relativ kurzes Statement. Die FDP sei weiter bereit, sagt Lindner zum Schluss, Verantwortung für das Land zu tragen. „Und wir werden dafür kämpfen, dies in einer anderen Regierung im nächsten Jahr auch zu tun.“

Nach diesem Abend ist es schwer vorstellbar, dass in dieser Regierung wieder Minister von SPD und FDP gemeinsam sitzen werden.