Die sogenannten Wirtschaftsweisen raten der Bundesregierung angesichts der schwächelnden Wirtschaft, zukunftsorientierte Ausgaben zu erhöhen. In ihrem am Mittwoch vorgestellten Jahresgutachten empfehlen sie etwa einen Verkehrsinfrastrukturfonds und Mindestquoten für Bildungs- und Verteidigungsausgaben. Die deutsche Volkswirtschaft wird laut ihrer Prognose in diesem Jahr erneut schrumpfen, die Prognose für 2025 halbierten die Wirtschaftsweisen.
Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung attestiert der deutschen Wirtschaft neben konjunkturellen große strukturelle Probleme. Das legten die Schwäche der Industrie und die Dauer der Schwächephase nahe, sagte die Vorsitzende Monika Schnitzer. In Deutschland habe es in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten Versäumnisse in der Politik und in der Wirtschaft gegeben – als Beispiele nannte sie steigende Rentenbeiträge, „auf Verschleiß“ gefahrene Infrastruktur und „mediokre“ Ergebnisse bei den Pisa-Studien zu Schulleistungen.
„Umso wichtiger ist es, die Modernisierung unseres Landes jetzt entschlossen voranzutreiben“, mahnte Schnitzer. Die Wirtschaftsweisen empfehlen der Politik, die zukunftsorientierten öffentlichen Ausgaben bei Haushaltsaufstellung und Finanzplanung „verbindlich“ zu erhöhen. Nötig seien „institutionelle Vorkehrungen“, damit ausreichende Mittel für diese Ausgaben eingesetzt werden. Ratsmitglied Achim Truger sagte, der Bedarf dürfte bei „dreistelligen Milliardenbeträgen innerhalb weniger Jahre“ liegen.
Für den Erhalt, die Modernisierung und den Ausbau des bundeseigenen Straßen- und Schienennetzes eignet sich laut dem Gutachten ein Verkehrsinfrastrukturfonds mit dauerhaft eigenen Einnahmequellen, die aus dem Bundeshaushalt übertragen werden, wie beispielsweise Mauteinnahmen oder eine Kraftstoffsteuer, sagte Truger. Der Nachholbedarf zur Modernisierung der Verkehrsinfrastruktur könnte demnach über begrenzte Kreditrahmen innerhalb einer „reformierten“ Schuldenbremse finanziert werden.
Für die Verteidigungsausgaben und die Bildungsausgaben, insbesondere für die Schulbildung, schlagen die Wirtschaftsweisen Mindestausgabenquoten vor. Für Verteidigung biete sich das Zwei-Prozent-Ziel der Nato an. „Bei der Bildung könnte ein Indikator ausgehend von Mindestausgaben je Schülerin und Schüler festgesetzt werden“, heißt es im Gutachten. Diese Quoten sollten länderspezifisch festgelegt werden, da die Kosten für Bildung von den Ländern getragen werden.
Die konjunkturelle Lage zeichnet der Sachverständigenrat düster: Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) sei in den vergangenen fünf Jahren nur um 0,1 Prozent gewachsen – in den USA waren es laut Schnitzer zwölf Prozent. Ihre Prognose für dieses Jahr senkten die Wirtschaftsweisen von plus 0,2 Prozent auf minus 0,1 Prozent. Für das kommende Jahr erwarten sie ein Wachstum von 0,4 Prozent; im Frühjahr waren sie noch von 0,9 Prozent ausgegangen.
Die Inflationsrate wird demnach deutlich zurückgehen – auf 2,2 Prozent in diesem und auf 2,1 Prozent im kommenden Jahr. Die Arbeitslosenquote steigt laut Gutachten auf 6,0 Prozent in diesem und 6,1 Prozent im kommenden Jahr.
Die fünf Mitglieder des Sachverständigenrats werden auf Vorschlag der Bundesregierung für jeweils fünf Jahre berufen. Ihre Empfehlungen sind für die Bundesregierung nicht bindend.
Die Vorsitzende Schnitzer sagte, die wichtigste Maßnahme für die nächste Regierung sei, „Kompromisse einzugehen und sie auch durchzuhalten“. Auch die Wirtschaftsweise Ulrike Malmendier betonte, Unsicherheit sei einer der Hauptgründe, warum Unternehmen zu wenig investierten und Konsumenten zu wenig Geld ausgäben. Ihre Kollegin Veronika Grimm sagte, sie könne der künftigen Bundesregierung nur „viel Kraft wünschen“ – viel Spielräume seien angesichts der EU-Verschuldungsregeln „nicht da“.
Schnitzer begrüßte die Äußerungen von CDU-Chef Friedrich Merz zur Schuldenbremse: Der Oppositionsführer sei „offen für eine Reform der Schuldenbremse“, wenn das Geld richtig ausgegeben werde – „darum geht es“. Merz hatte am Mittwoch gesagt, die Schuldenbremse „kann man reformieren“, wenn das Ergebnis „wichtig für Investitionen, Fortschritt, die Lebensgrundlage unserer Kinder“ sei.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sagte bei der Übergabe des Gutachtens, die Vorschläge, „wie man mehr Geld für Investitionen ermöglichen kann“, seien für die politische Debatte „natürlich von größter Bedeutung“. Die Vorschläge seien aus seiner Sicht auch ein Hinweis, dass die Wachstumsinitiative „sehr dringend notwendig ist“. Viele Maßnahmen dieser Initiative müssen noch vom Bundestag verabschiedet werden.