Die NRW-Landesregierung will bei einigen Sozialausgaben sparen. Erzieherinnen, Eltern und Mitarbeiter von Sozialverbänden laufen dagegen Sturm. Zehntausende sind zu einer Kundgebung gekommen.
Fahnen, Plakate und massenweise Luftballons: Zehntausende Menschen haben in Düsseldorf gegen Sparpläne der Landesregierung im Sozialbereich demonstriert. Veranstalter und Polizei sprachen übereinstimmend von rund 32.000 Teilnehmern bei der Kundgebung in Sichtweite des Landtags. Es sei eine der größten Demonstrationen in Düsseldorf seit Jahren gewesen, betonten die veranstaltenden Verbände wie Rotes Kreuz, Diakonie und Caritas. Weil auch viele Mitarbeiter von Kitas und Beratungsstellen zu der Kundgebung gekommen waren, gab es in einigen Einrichtungen in Nordrhein-Westfalen den ganzen Tag über nur Notbetrieb.
Wut, Enttäuschung und Angst um die eigene Arbeitsstelle waren für viele der entscheidende Grund, sich an der Großkundgebung zu beteiligen. „Für mich ist NRW eigentlich ein soziales Land, und das geht gerade völlig flöten“, schimpfte Christiane Treeck, die in Brilon im Sauerland eine Beratungsstelle für Familien leitet. Wenn das Land wie geplant Zuschüsse kürzt, müsse sie beim Personal einsparen und hilfsbedürftige Familien wegschicken. „Ich fühle mich wirklich verraten in meinem Engagement.“
Land will 83 Millionen Euro einsparen
Die Verbände prangern die Pläne der Landesregierung an, im kommenden Jahr 83 Millionen Euro im Sozialbereich einzusparen. Dabei bräuchte es aus ihrer Sicht deutlich mehr Geld für Kitas, Suchthilfezentren, Familienberatungen sowie Angebote für geflüchtete und ältere Menschen. „Nordrhein-Westfalen lebt von seiner Vielfalt, seinem Miteinander und seiner Solidarität. Doch die geplanten Kürzungen gefährden genau diese Grundpfeiler“, sagte der Vorsitzende des Dachverbands Freie Wohlfahrtspflege NRW, Hartmut Krabs-Höhler.
Während draußen demonstriert wurde, berieten die Abgeordneten im Landtag über den Nachtragshaushalt für das laufende Jahr.
„Soziale Infrastruktur in NRW geht dauerhaft kaputt“
„Man kann soziale Sicherheit nicht an- und ausknipsen wie eine Ampel. Wenn diese Kürzungen durchkommen, geht soziale Infrastruktur in NRW dauerhaft kaputt“, warnte die NRW-Chefin des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB), Anja Weber. Die Situation sei schon jetzt alarmierend, betonte auch die Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Ayla Celik. „Überall in NRW fehlt Personal für die Kinderbetreuung. Die Anzahl der Kitas, die Stunden reduzieren oder schließen mussten, hat sich von Juni 2023 bis Juni 2024 mehr als verdoppelt.“ Für eine echte pädagogische Arbeit mit den Kindern fehle ohnehin oft das Personal.
„Die Kita-Strukturen sind bereits jetzt angeschlagen“, beklagte auch Michael Stratmann, Geschäftsführer von mehreren Kitas im Erzbistum Paderborn. Die Finanzierung durch das Land sei schon jetzt unzureichend. Wenn zusätzlich noch Angebote in der Kinder-, Jugend- und Familienhilfe wegfielen, könnten die Erzieherinnen und Erzieher in den Kitas das nicht auffangen.
„Make Aids Great Again“
Einsparungen in Höhe von 1,6 Millionen Euro könnten allein die Aidshilfe NRW treffen. „Mehr Aids für alle!“ und „Make Aids Great Again“ stand auf Plakaten. Die Rechnung, dass man durch weniger Zuschüsse etwas sparen könne, sei „total seltsam“, sagte Landeschef Arne Kayser. Die Behandlung eines HIV-Infizierten koste in 40 Jahren 500.000 Euro – eine gute Präventionsarbeit könne vor solchen Kosten schützen.
Ob bei der Pflege, bei der Beratung für Geflüchtete oder im Bildungsbereich: Überall lautet der Vorwurf der Protestierenden an die Regierung, sie betreibe mit ihren Kürzungen eine zu kurzfristig angelegte, nicht nachhaltige Finanzpolitik.
Laumann: Sozialpolitik braucht stärkeres Wirtschaftswachstum
Nordrhein-Westfalens Sozialminister Karl-Josef Laumann (CDU) zeigte Verständnis für die Demonstranten. „Als Sozialminister bin ich froh, dass diese Sozialkürzungen nicht so sang- und klanglos über die Bühne gehen“, rief er ihnen zu. Gleichzeitig sei geplant, in anderen Bereichen der Sozialpolitik im kommenden Jahr mehr Geld zur Verfügung zu stellen. Das Land könne aber auch nicht mehr ausgeben, als es einnehme. Standards im sozialen Bereich ließen sich nur halten, wenn Deutschland wieder ein starkes Wirtschaftswachstum bekomme, betonte der Minister.