Meinung: Social-Media-Verbot für Teenager: Warum das eine schlechte Idee ist

Australien führt ein Social Media-Verbot für Kinder bis 16 Jahre ein. Ein sinnvoller Schritt – aber Deutschland sollte trotzdem nicht nachziehen. 

Viele Länder diskutieren darüber, Australien macht es: Social Media soll für Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren gesperrt werden. Der entsprechende Gesetzesvorschlag sieht vor, dass die Regelung auch dann gilt, wenn Jugendliche bereits in den sozialen Medien aktiv sind oder die Eltern der Nutzung zustimmen. Konkret umsetzen und kontrollieren sollen das die Medienkonzerne selbst. „Dies ist ein weltweit führendes Gesetz“, sagte Australiens Premier Anthony Albanese. Er will damit „ein Machtwort“ sprechen. 

Ein solches Machtwort wünschen sich auch viele in Deutschland, denn auch hier beobachten viele die Entwicklungen mit Sorge: 2023 begegnen 58 Prozent der Jugendlichen Fake News im Netz, mehr als 14 Prozent haben Anfeindungen gegen sich selbst erlebt, zeigt die Studie „Jugend, Internet, Medien“ (JIM) 2023 vom Medienpädagogischen Forschungsverbund Südwest. Und: Jeder vierte Jugendliche hat im letzten Monat ungewollt pornografische Inhalte im Netz gesehen. „Wahrscheinlich hat ein Junge in Deutschland mit 15 mehr Geschlechtsverkehr geguckt, als er sein Leben lang praktizieren wird“, kommentiert Marc Jan Eumann, Vorsitzender der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) die Zahlen. 

10: Australien plant Verbot von OnlineNetzwerken für Kinder und Jugendliche – 9a26813ab3d479f4

Damit steuert Australien zwar das große Ziel eines sicheren und altersgerechten Medienumgangs an, verfehlt mit einem Social Media-Verbot aber klar die Landebahn. Wer TikTok, Snapchat und Co. kategorisch aus dem Leben von Kindern und Teenagern verbannt, der macht es sich selbst leicht und bestraft am Ende die, die geschützt werden sollten: Heranwachsende. 

16 ist ein Alter, in dem Jugendliche in Deutschland teils bei Landtags-, auf jeden Fall aber bei Europawahlen ihr Kreuz setzen dürfen. Auch politische Bildung und politischer Wahlkampf wird heute mehr denn je auf Social Media geführt. Die Jugendlichen davon bis zu ihrem 17. Lebensjahr kategorisch auszuschließen, ist entmündigend. Auch Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf mediale Teilhabe.

Ein Social Media Verbot für Jugendliche bestraft die Falschen

Das eigentliche Problem liegt nicht im Alter der Jugendlichen, sondern in der fehlenden individuellen altersgerechten Überprüfung der Inhalte. Statt die Kinder aus den sozialen Medien auszuschließen, sollten eher die unpassenden Inhalte entfernt werden von den Plattformen, auf denen die Kinder sich bewegen. Bedeutet konkret: Die Plattformen sollten unterschiedliche Zugänge je nach Alter vorhalten und ihre Inhalte kategorisieren und klassifizieren. Das macht jeder Fernsehveranstalter seit 50 Jahren. Ein Hitchcock läuft auch nicht zur Sandmännchen-Zeit. 

Dafür braucht es eine konsequente und verpflichtende Altersverifikation der Nutzer. Bisher müssen Social-Media-Plattformen ihre Altersbeschränkungen in den Nutzungsbedingungen zwar angeben, nur wird das kaum nachgeprüft. Möchte ein Elfjähriger sich beispielsweise auf der ab 13 zugänglichen Plattform Instagram anmelden, kann er einfach ein falsches Geburtsdatum bei der Registrierung angeben. 

Dabei wäre diese Überprüfung technisch längst möglich: Es gibt bereits über hundert von der KJM als geeignet bewertete Alterseinschätzungs- oder -verifikationssysteme, mit denen sich ein Alter unkompliziert und zuverlässig überprüfen lassen würde. Entweder wie bei der Altersverifikation durch einen Vergleich eines Ausweisdokuments mit einem biometrischen Selfie oder durch einen Algorithmus, der das Alter einer Person nur anhand eines Fotos präzise bestimmen kann.

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Statt über das halbe Internet den Stempel „verboten“ zu setzen, würde bereits eine verlässliche Umsetzung dieser Altersbeschränkung für deutlich mehr Sicherheit für junge Nutzende sorgen, ohne sie der Chancen von Social Media zu berauben.

Eines der Systeme, dass sich bewährt haben, ist Yoti. Auch Instagram nutzt das Programm längst, allerdings nur, wenn das eigene Alter in den Einstellungen der Plattform höhergestellt wird. Wer sich dagegen neu bei Instagram registriert, kann munter weiter flunkern.

Wenn eine Altersüberprüfung doch aber längst plattformübergreifend möglich wäre, warum wird sie dann nicht auch genutzt? Die Antwort lautet wie so oft: Geld. Mediengiganten wie Meta, Google oder Bytedance fürchten einen Wettbewerbsnachteil gegenüber anderen Plattformen, wenn ihnen Einnahmen durch eine potenziell gewinnbringende junge Zielgruppe entgehen könnte. 

Und wie so oft lautet das einzige Wundermittel gegen die Gier nach Geld: Druck. Als die „New York Times“ 2020 über die sexuelle Darstellung von Kindern auf Pornhub berichtete, drehten Kreditkartenunternehmen der Pornoplattform den Hahn zu. Und auf einmal funktionierte es doch: YouPorn setzte ein Tool zur Altersverifikation ein, um einen weiteren Skandal zu vermeiden – natürlich nur auf der Uploadseite der Inhalte. Auf der Downloadseite weigert sich die Plattform weiterhin. Ihnen könnten ja Geschäfte durch die Lappen gehen.

Mit großer Reichweite geht große Verantwortung einher

Möchte man also einen umfassenden und altersgerechten Jugendschutz auch für Social Media, müssen klare Regelungen her. Im Fall Australiens sollten wir aber lieber Cherry Picking, statt Copy-and-paste betreiben. Bedeutet: verpflichtende Altersüberprüfung ja, generalisierende Verbote für eine ganze Altersgruppe nein. Anstelle eines kategorischen Verbots, dass letztendlich gegen Kinder und Jugendliche schießt, müssen die Plattformen selbst Verantwortung für ihre Inhalte übernehmen, diese altersgerecht einstufen und die Altersbeschränkungen endlich zuverlässig kontrollieren. 

Dafür braucht es – und den Punkt müssen wir den Australiern geben – eine einheitliche Regulierung, die Social-Media-Plattformen zur Ordnung zwingt. Idealerweise natürlich kombiniert mit einer verstärkt vermittelten Medienkompetenz von Kindern und Jugendlichen an Schulen. Aber diese Idee ist wieder ein anderes Kapitel. Und mit Blick auf die aktuelle Bildungspolitik wohl eher mutiges Wunschdenken.