Entscheidung zur Klinikreform: Regierungschef entlässt Ministerin – Aus für Koalition

Machtprobe im Streit um die Klinikreform: Regierungschef Woidke entlässt in der Bundesratssitzung die grüne Gesundheitsministerin. Die beispiellose Aktion führt zum Bruch der bisherigen Koalition.

In einer beispiellosen Aktion hat Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) seine Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) kurz vor Ende der gemeinsamen Regierungszeit entlassen. Aus Solidarität trat daraufhin der grüne Agrarminister Axel Vogel zurück. Woidkes Koalitionspartner sieht keine Basis mehr für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit. Vor der Abstimmung über die Krankenhausreform im Bundesrat war der Streit zwischen Nonnemacher und dem Ministerpräsidenten eskaliert. 

Damit ist die rot-schwarz-grüne Koalition in Brandenburg in der Schussetappe zerbrochen. Denn die Regierung aus SPD, CDU und Grünen war nur noch geschäftsführend im Amt bis zur Bildung einer neuen Regierung. SPD und das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) wollen eine neue Koalition schmieden und sind im Endspurt ihrer Verhandlungen.

Ministerin sieht Tiefpunkt politischer Kultur 

Noch auf dem Bundesrats-Flur in Berlin bekam Nonnemacher nach eigener Schilderung ihr Entlassungspapier – kurz vor dem Länder-Votum zur Krankenhausreform. Die 67-jährige Ärztin sprach von einem „Tiefpunkt der politischen Kultur“. 

Der anschließende Rücktritt von Agrarminister Vogel sei eine Konsequenz „aus dem respektlosen Umgang des Ministerpräsidenten mit der bisherigen Gesundheitsministerin“, heißt es in einer Mitteilung der Grünen. Eine Zusammenarbeit sei nicht mehr möglich. 

Woidke sagte zur Entlassung Nonnemachers im Interview mit RTL/ntv: „Ich kann mir da nicht auf der Nase rumtanzen lassen.“

Konflikt um Abstimmung im Bundesrat 

Was war geschehen? Ministerpräsident Woidke wollte nach Auskunft von Regierungssprecher Florian Engels die Anrufung des Vermittlungsausschusses von Bundesrat und Bundestag erreichen. Die für die Krankenhäuser zuständige Fachministerin Nonnemacher aber war dagegen und warnte: „Das führt zu einer Versenkung dessen, was hier in zwei Jahren mühsam ausgehandelt worden ist.“ Woidkes Regierungssprecher sagte zur Entscheidung des SPD-Politikers: Mit diesem „divergierenden Abstimmungsverhalten“ wären Brandenburgs Stimmen in der Länderkammer ungültig gewesen.

Am Ende konnte die düpierte Ministerin – anders als Woidke – zumindest mit dem Ergebnis der Abstimmung zufrieden sein: Die Länderkammer ließ das Gesetz für eine grundlegende Neuordnung der Kliniken in Deutschland passieren. Woidkes Ziel, den Vermittlungsausschuss einzuschalten, ging schief.

Nonnemacher wäre ohnehin bald ausgeschieden

Der Schritt des Regierungschefs löste empörte Reaktionen aus, von einer öffentlichen Demütigung und respektloser Machtdemonstration war die Rede – zumal Nonnemacher bald aus dem Amt ausgeschieden wäre. Die Grünen-Bundesvorsitzende Franziska Brantner nannte Woidkes Verhalten bei der Plattform X stillos. „Ein anständiger Umgang muss über der reinen Machtsicherung liegen.“ 

Auch die Grünen-Landeschefin Alexandra Pichl sprach von einem beschämenden Vorfall. „Diese Entscheidung zeigt, wie weit die SPD inzwischen bereit ist zu gehen, um sich für eine künftige Koalition mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) anzubiedern.“ In ihren Koalitionsverhandlungen sind sich SPD und BSW grundsätzlich einig in dem Ziel, dass die Krankenhausstandorte in Brandenburg erhalten bleiben sollen.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) würdigte den Einsatz Nonnemachers für die Reformpläne: „Sie hat sich insbesondere dafür eingesetzt, dass in Brandenburg die Notfallversorgung in dem Umfang erhalten bleiben kann, wie sie notwendig ist. Das ist ihr Verdienst.“

Ministerin wollte Rede halten

Vor der Sitzung im Bundesrat kam es in der Koalitionsrunde zum Konflikt mit dem Ministerpräsidenten über das Abstimmungsverhalten zur Krankenhausreform. Nonnemacher machte klar, dass sie sich nach erreichten Verbesserungen im Klinikgesetz gegen die Anrufung des Vermittlungsausschusses stellen wird, sie sah sich dabei mit ihren Fachleuten auf einer Linie. Daraufhin habe der Ministerpräsident gedroht, sie vor der Sitzung zu entlassen, schilderte die Grünen-Politikerin. „Solange ich keine Entlassungsurkunde in den Händen halte“, werde sie ihre Rede halten, habe sie gesagt. 

Dann kam es um 10.00 Uhr zum Showdown. Der Regierungschef akzeptierte das Votum Nonnemachers nicht und verhinderte mit der Entlassung eine Enthaltung Brandenburgs in der Länderkammer. Die rot-schwarz-grüne Koalition hatte vereinbart, dass sie sich im Bundesrat enthält, wenn sie sich nicht einig ist.

Regierungschef sieht klares Votum

Woidke verwies im TV-Sender Phoenix darauf, dass eine Krankenhauskonferenz – mit Klinikvertretern und Kommunen – in der Staatskanzlei gezeigt habe, dass die Reform in dieser Form dringend überarbeitet werden müsse. „Ich kann als Ministerpräsident, auch für das öffentliche Bild des Landes Brandenburg, nicht zulassen, dass ein klares Votum, das wir auch im Land haben, eine klare Meinung, hier im Bundesrat konterkariert wird durch eine Ministerin, die mit der Wahrnehmung von Aufgaben von mir beauftragt ist.“ Nonnemacher warf Woidke vor, er habe mit seinem Verhalten gegen den Koalitionsvertrag verstoßen – und das nicht zum ersten Mal.

„Vertrauensbruch“ schon vor Monaten 

Das Verhältnis zwischen Woidke und Nonnemacher galt schon länger als angespannt. In der Corona-Krise verlagerte er die Zuständigkeit für das Impfen zwischenzeitlich von ihrem Ministerium zum Innenressort. Im März enthielt sich der Ministerpräsident im Bundesrat bei der Entscheidung über eine Teil-Legalisierung von Cannabis nicht wie in Streitfällen der Koalition, sondern setzte sich für ein Nachschärfen der Gesetzespläne ein und rief den Vermittlungsausschuss an. Nonnemacher spricht im Rückblick von „Vertrauensbruch“.

Die Grünen-Politikerin, die seit 2019 Ministerin war und mehrere Krisen managte, behielt wenige Stunden nach ihrer Entlassung die Fassung. „Die Ereignisse überschlagen sich, wir hatten damit nicht gerechnet“, sagte sie. „Ich werde mein Zimmer ausräumen und dann dieses Ministerium verlassen.“