Schauspieler Hinnerk Schönemann spricht über seine Tattoos, sein großes Vorbild Jim Carrey und warum er gern mal in einem Film Regie führen würde.
Herr Schönemann, Sie feiern am 30. November Ihren 50. Geburtstag, Ihr Sternzeichen Schütze wird wie folgt beschrieben: „Ein weltoffenes Energiebündel, das seinem Umfeld viel Offenheit und Ehrlichkeit entgegenbringt. Das Sternzeichen ist hell und voller Energie“. Erkennen Sie sich da wieder?
Das klingt ja ganz schön, aber bei Jungfrau, Zwilling und Widder würde wahrscheinlich dasselbe stehen, oder? Ehrlich gesagt bin ich bei Horoskopen raus.
Wie steht es um Ihre früheste Kindheitserinnerung?
Die habe ich spontan sehr genau vor Augen, da war ich vier Jahre alt. Ein Blick aus dem 18. Stock eines Hochhauses, hinunter auf die Stadt Rostock. Da gab es so ein frei stehendes Hochhaus, wir wohnten weit oben in der 18. Etage.
Das klingt eindrucksvoll.
Ja, es muss so gewesen sein, danach sind wir erst umgezogen. Lustig auch, dass ich damals noch völlig schwindelfrei war. Heute würden mir da so einige Gedanken durch den Kopf gehen, als Steppke war mir das komplett egal. 18. Stock, das ist schon eine Ansage.
Es war ohnehin einiges los: Rostock, Berlin, Hamburg, Ihre ersten Lebensstationen mit gerade mal 13 Jahren. Wenn Sie an diese Zeit denken, was kommt Ihnen in den Sinn?
Das ist eine wilde, aufregende Zeit gewesen, mit allen Höhen und Tiefen. Von Rostock nach Berlin, in die Großstadt, dort zur Schule, zum ersten Mal so richtig Freunde gehabt, den Beginn der Pubertät erlebt. Das mag nicht so aufregend klingen, aber es war natürlich eine unglaublich prägende Zeit.
Nord bei Nordwest Schwanitz 20.25
Wie war das Verhältnis zu Ihren Eltern?
Sie haben mich in allem unterstützt, was ich machte, buchstäblich. Die waren froh, wenn wir irgendwelche Aktivitäten am Start hatten. Ich versuche, das jetzt an meine Kinder weiterzugeben. Die können auch alles machen, was sie wollen, solange es legal ist natürlich.
Wie waren Sie aufgestellt als Kind – eher zurückhaltend oder mutig nach vorn?
Das kann ich gar nicht so genau sagen, ich weiß aber, dass meine Eltern alles andere als ängstlich waren, ganz im Gegenteil. Die hatten den Mut, mit Kindern einen Ausreiseantrag zu stellen. Diesen Mut gab es auch im Alltag. Sie haben mir beigebracht, nicht zu kuschen. Dass man Obrigkeiten hinterfragt, ob das alles so richtig ist oder jemand doch nur seine Position ausnutzt. Ob nun Lehrer, Direktor oder irgendein Vorgesetzter, da wollten wir immer erstmal hören, was der sagt und ob das alles so okay ist. Wir waren keine Mitläufer, das ist mir damals vielleicht gar nicht so klar gewesen, aber dieser Keim reifte auch in mir. Ich spüre das bis heute. Das hat natürlich auch etwas damit zu tun, dass ich keinen Chef über mir habe, außer den ganz großen Herrn irgendwann mal. (lacht) Ich hinterfrage lieber. Ich habe große Probleme mit jemandem, der mir willkürlich etwas sagt, ohne dass es für mich einen Sinn macht.
Wie rebellierten Sie als Jugendlicher?
Zum Beispiel, indem ich mit meinen Haaren experimentierte. Lange Haare, kurze Haare, zur Seite. Blau färben, rot färben. Ich musste mich immer ausprobieren, auch wenn es für die Umwelt vielleicht schrecklich aussah, zerfetzte Hosen und sowas. (lacht) Mit meinen Kindern steht mir das auch irgendwann bevor. Wahrscheinlich denke ich dann, oh Gott, sahen wir früher auch so schlimm aus? Aber das gehört eben dazu, das macht ja etwas mit einem. Das sind halt verschiedene Phasen. Dann sind sie damit durch, und es kommt die nächste. Lieber so als immer gleich und immer duckmäusern. Sie sollen alles machen, was sie wollen.
Vor der Schauspielerei hatten Sie zunächst andere Pläne. Es ging um ein Zoogeschäft für Reptilien.
Auf so etwas würde ich heute nicht mehr kommen, im Gegenteil, beim Handeln mit Tieren bin ich eher ein Verfechter auf der Gegenseite, aber so ist das manchmal mit den frühen Ideen. Zum Glück kam mir das Schauspiel dazwischen.
Der Tipp eines Freundes …
Mein damaliger bester Kumpel studierte Schauspiel und meinte, das könnte etwas für mich sein. Mir war erst nicht klar, dass man das studieren konnte. Ich dachte, man geht zum Fernsehen und ist dort dann irgendwie Schauspieler. Aber ich probierte es aus, es lag mir, außerdem bekam ich schnell das Gefühl, ja, hier könnte ich auch mein eigener Chef sein. Ich verwarf also meine bisherigen Pläne und bin erstmal dem Schauspiel verfallen. Mir war sehr klar, dass ich auf keinen Fall in irgendeinem Büro sitzen wollte. Ich wusste, ich hatte drei, vier Jahre Zeit, um mich auszuprobieren und mal zu schauen, ob das passt.
Aus der Phase mit den Reptilien gibt es ein Tattoo, Motiv Schildkröte.
Ja, das ist eine schöne Erinnerung. Mein Sohn hat dieselbe Energie in puncto Reptilien, der wollte auch irgendwann seine eigene Schildkröte haben. Da habe ich ihm abgeraten, das läuft nicht.
Bei Ihnen sind noch einige dazugekommen, unter anderem ein großes Tattoo auf dem Rücken.
Nach der Schildkröte gab es lange Zeit nichts, ich dachte, als Schauspieler müsste mein Körper irgendwie rein bleiben. Dann hatte ich die Idee mit dem Rücken, man trägt eh meistens T-SHehirt, zudem lässt sich das abdecken. Irgendwann kam der Zeitpunkt, da wird man morgens wach und weiß: Das muss ich jetzt einfach machen.
Eine überaus schmerzhafte Stelle.
Eigentlich sind alle Stellen schlimm, im Grunde genommen ist Tätowieren sowieso nichts für mich, aber es gibt ja gute Cremes. Wenn man sich zwei, drei Stunden vorher einreibt, ist das auszuhalten. Irgendwann kommt der Schmerz natürlich dennoch durch.
Gab es beim Schauspiel so etwas wie eine Philosophie? Berühmt werden, es nach Hollywood schaffen?
Kann ich gar nicht sagen. Ich wollte mein eigener Chef sein, das war immer schon ein Gedanke. Natürlich wollte ich als Schauspieler Rollen bekommen, wo man gesehen wird, ich denke, das ist ein ganz normales Ding. Dass es dann aber so doll wird, damit habe ich überhaupt nicht gerechnet. Vielleicht hätte ich es mir vorher zweimal überlegt, wenn ich das gewusst hätte, und dann „Nein“ gesagt, aber wahrscheinlich doch auch wieder „Ja“. Keine Ahnung. Es ist Fluch und Segen zugleich.
Sie leben in Mecklenburg-Vorpommern, auf einem eigenen Hof in Plau am See, da dürften Sie genug Abstand haben. Ein wichtiger Ausgleich, diese Parallelwelt?
Ich denke schon. Das ist ja mein Familienleben, da gibt es genug zu tun. Das Gelände muss sauber gehalten werden, der Wald ebenso. Alles Aufgaben, damit es nicht verwahrlost, aber das macht das Hofleben ja auch aus. Ich habe mich relativ früh von der Stadt verabschiedet. Ich bin kein Café-Gänger, kein Künstler in dem Sinne, dass ich mich ständig mit anderen darüber austauschen muss. Ich spiele meinen Kram, mache meine Rolle, dann ist Drehschluss, und ich fahre nach Hause. Da läuft das ziemlich unterm Deckel. Ab und zu hat mal einer etwas im Fernsehen geguckt und spricht mich an, aber das war es dann auch.
In Ihrem Portfolio gibt es Kino- und Fernsehfilme, zum anderen Langzeitrollen wie in „Marie Brand“ oder „Nord bei Nordwest“. Was liegt Ihnen mehr?
Beides ist reizvoll, ein Nachteil wäre es nur, wenn man irgendwann in eine bestimmte Schublade gesteckt wird, ansonsten sehe ich nur Vorteile. Solange ich etwas ausprobieren und meinen Rollen mitgeben darf, was mir Spaß macht, ist es mir völlig egal, ob es ein Polizist ist, ein Verbrecher oder irgendjemand anders. Ich brauche nur eine gewisse Art von Freiheit, dann könnte ich die ewig spielen.
Beim „Tatort“ haben Sie Geschichte geschrieben. In der Folge „Franziska“ ging es 2014 so heftig zu, dass sie erst um 22 Uhr ausgestrahlt werden durfte.
Ja, ein absoluter Ausnahmefall, das gab es vorher noch nie und auch danach nie wieder.
Sie spielten in diesem Kölner „Tatort“ einen Strafgefangenen, der am Ende die Titelfigur, Tessa Mittelstädt in der Rolle der Franziska Lüttgenjohann, umbringt. Wie geht man so einen Part an?
Das einzige, was ich da vorbereite, dreht sich um die Frage: Was könnte dieser Typ machen, was interessant wäre und was ich spannend fände? Ich kam auf die Idee, dass das ein erwachsener Mann ist, der aber in bestimmten Situationen sehr kindlich reagiert. Das habe ich angeboten und mein Regisseur, Dror Zahavi, sagte: Mach’ mal! Der hat mich laufen lassen wie ein wildes Pferd. Also habe ich gemacht. Ich weiß gar nicht mehr, wieviel davon tatsächlich im Drehbuch stand.
Klingt so simpel.
Ist es im Grunde genommen ja auch. Man muss sich nur trauen. Sich etwas einfallen lassen und dann losmachen.
Haben Sie Ihre Rollentexte noch drauf oder vergisst man die mit der letzten Klappe?
Nein, das ist sofort weg. Am nächsten Tag vielleicht noch, aber dann verschwindet das wieder aus dem Kopf.
Ihr persönlicher Kinoheld?
Ganz klar: Jim Carrey, in jeglicher Hinsicht. Den habe ich schon sehr studiert, immer vor dem Hintergrund der Frage: Wie würde er das jetzt machen? „Truman Show“ ist natürlich toll, aber auch ein Film wie „Dumm und dümmer“ ist großartig, die Witze kommen so tief aus dem Herzen heraus. Den liebe ich sehr. Und Jean Dujardin, den finde ich auch toll.
Wie sieht es zum Geburtstag zahlentechnisch aus, 50 ist schon eine Ansage, oder?
Haben Sie gerade „zahntechnisch“ gesagt?
Nein, zahlentechnisch, die 50.
Ach, und ich dachte schon, jetzt geht es hier gleich um Kukident oder so etwas. (lacht)
Nein, mehr um das Alter selbst. Ein großer Einschnitt oder doch nur ein Geburtstag wie jeder andere?
Im Grunde ist es mir wirklich egal. Natürlich ist es eine Art Zäsur, und man sinniert schon mal, was man bisher alles so gemacht hat, diese normalen Fragen in der Mitte des Lebens. Ich wünsche mir, dass ich gesund bleibe, allein schon für meine Kinder. Und natürlich möchte ich schauspielern, so lange es geht. Wenn das mal vorbei ist, gehe ich eben hinter die Kamera.
Was steht auf dem Wunschzettel?
Dass ich endlich einen Spielfilm machen kann, und zwar als Regisseur, einen Film, bei dem ich nicht mitspiele, wo ich mir die Schauspieler aussuchen darf, die Geschichte ausdenken, einfach alles. Das wäre ein Traum.
Vielleicht noch etwas Praktisches?
Wüsste ich jetzt nicht. Obwohl: Gutes Werkzeug geht immer.
Das klingt wie ein Slogan für eine Baumarkt-Kette. Gutes Werkzeug geht immer – das sollten Sie sich vielleicht schützen lassen.
Jetzt, wo Sie das sagen. (lacht) Das wäre es doch, die nächsten 30 Jahre das Gesicht für Hagebau oder Obi. Da hätte ich ausgesorgt.