Antrag der EU-Staaten: Der Wolf ist wieder vogelfrei – zumindest fast

Lange galt der Wolf in Europa als ausgestorben. Nun bekommt die bedrohte Tierart aber wieder Nachwuchs und breitet sich rasch aus. Mehrere EU-Staaten wollen das verhindern.

Wer hat Angst vorm großen Wolf? In der EU ist die Frage kein Kinderspiel. In vielen Ländern sorgen sich Landwirte um ihre Tiere, denn der Wolf ist wieder auf dem Vormarsch. Nachdem er über 100 Jahre lang in Europa als beinahe ausgerottet galt, haben sich die Bestände innerhalb wieder erholt. Die Folge: Die EU schätzt, dass die Wildtiere jährlich um die 65.000 Ziegen oder Schafe reißen.

Trotzdem gilt der Wolf als „streng geschützt“, darf also nur in begründeten Ausnahmefällen abgeschossen werden. Das wollen die EU-Staaten ändern. Demnach wurde nun der Schutzstatus auf „geschützt“ gesenkt. Wölfe dürfen demnach künftig gejagt werden, wenn sie beispielsweise Weide- und Nutztiere attackiert haben – sofern ihre Population dadurch nicht gefährdet wird.STERN PAID GEO Tiere Verhalten 19.59

Über den Antrag hatte der Europarat entschieden. Das Gremium, bestehend aus knapp 50 Staaten, kümmert sich nicht nur um die Wahrung der Menschenrechte, sondern ist auch für die Einhaltung der Berner Konvention zuständig. Sie regelt den Schutz wildlebender Tiere und Pflanzen. Auch Deutschland hat dem Antrag zugestimmt und so seinen Kurs in der Wolfspolitik geändert.

Umweltverbände kritisieren die Wolfsentscheidung

Der Umweltschutzverband Nabu rügte, die Entscheidung des Europarats basiere nicht auf Fakten, sondern sei ausschließlich politisch getrieben. Laut Nabu-Expertin Marie Neuwald braucht es funktionierende Regelungen, wann und in welchem Rahmen ein Wolf mit auffälligem Verhalten getötet werden darf. „Das ist jedoch auch im bestehenden Recht möglich.“

Der WWF kritisierte die Entscheidung als „‚plumpen Wolfs-Populismus‘ – zum Schaden des Artenschutzes und der Nutztierhalter in Europa“. Der Schutzstatus sei ohne neue wissenschaftliche Erkenntnisse herabgestuft worden. „Eine Lockerung des Schutzstatus und der damit beabsichtigte leichtere Abschuss von Wölfen hat sich zudem nicht als effektives Mittel zur Verringerung von Schäden bei Weidetierhaltern erwiesen“, sagte WWF-Programmleiterin Sybille Klenzendorf in einer Mitteilung und verwies auf eine Studie zum Wolfsmanagement aus der Slowakei. Das wirksamste Mittel, um den Schaden bei den Nutztieren zu begrenzen, sei der effektive Herdenschutz.

Die EU argumentierte jedoch damit, dass die Wölfe Abwehrmechanismen wie hohe Zäune immer wieder überwinden würden.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprach von einer „wichtigen Nachricht für unsere ländlichen Gemeinden und Landwirte“ und begrüßte den Beschluss in Straßburg. Auch Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) begrüßte die Entscheidung. „Klar ist, mehr Wölfe können zu mehr Rissen von Schafen oder Ziegen auf der Weide führen“, erklärte er. „Das belastet unsere Weidetierhaltenden sehr.“ Mit dem niedrigeren Schutzstatus könne es gelingen, Wölfe zu schützen und gleichzeitig ihre Verbreitung zu kontrollieren.

Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) hatte im September ihren Widerstand gegen die Pläne aufgegeben. „Die Bestandszahlen des Wolfes haben sich in den letzten Jahren so entwickelt, dass diese Entscheidung aus Sicht des Naturschutzes verantwortbar und aus Sicht der Weidetierhalter notwendig ist“, hatte Lemke argumentiert.

Wie leben die Wölfe in Deutschland?

Nach EU-Angaben stieg die Zahl der Wölfe von über 11.000 im Jahr 2012 auf mehr als 20.000 im Jahr 2023. In Deutschland wurden 209 Wolfsrudel gezählt. Die meisten Wolfsfamilien lebten in Brandenburg (58), gefolgt von Niedersachsen (48) und Sachsen (37). In der gesamten Bundesrepublik ist Sachsen das einzige Bundesland, in dem der Wolf abgeschossen werden darf. Allerdings nur unter bestimmten Voraussetzungen: Laut Sächsischer Wolfsmanagementverordnung dürfen die Tiere beispielsweise nur dann getötet werden, wenn sie sich einem Menschen auf weniger als 30 Meter nähern oder mehrfach die in der Verordnung genannten Schutzmaßnahmen überwinden.

Die endgültige Entscheidung auf EU-Ebene ist aber noch nicht gefallen: Das EU-Recht muss zunächst geändert werden. Dafür muss die EU-Kommission einen Vorschlag zur Änderung des Schutzgesetzes vorlegen. Erst wenn die EU-Staaten und das Parlament mehrheitlich dafür stimmen, tritt das neue Gesetz in Kraft.