Kunst braucht Freiheit. Wenn Künstler die Welt retten wollen, machen sie sich selbst überflüssig, findet unsere Autorin.
Es steht recht scheiße um die Kunst. Darf man das sagen? Oder darf man heutzutage nicht mehr alles sagen? Die Meinungsfreiheit ist schon ein umstrittenes Feld in diesen Zeiten, von der Kunstfreiheit möchte ich erst gar nicht sprechen, muss es aber: Die Kunst ist zum Hauptaustragungsort für alles geworden, womit diese freie Gesellschaft derzeit nicht fertig wird.
Sieht man Comedy als Kunstform an, so wäre ein Beispiel für diese Überfrachtung der Moment in der Carolin Kebekus Show, da sie im silbernen Rock etwas über Schwangerschaftsabbrüche trällert. Ich finde Kebekus sympathisch, inhaltlich würde ich jeden einzelnen Satz in ihrem Song unterschreiben. Ihr Lied ist jedoch ein Beispiel für die „Seht her, ich habe recht“-Comedy. Es geht darum, zu den Guten zu gehören, es geht nicht mehr darum, kunstvoll und witzig zu sein.
Die Kunst, die doch die freieste unter den Freiheiten sein könnte, ist zur Dienstleisterin geworden. Statt sich stolz den Schnurrbart zu zwirbeln wie einst Salvador Dalí, wollen und sollen die Künste heute gesellschaftliches Bewusstsein schaffen. Das gilt besonders für die sogenannte gehobene Kunst, die man im Theater, im Kino und in Teilen der Musik vermutet. Alle wollen sie etwas von uns, dem Publikum – nur einfach da sein, das will die Kunst nicht mehr. Dabei könnte sie eine Welt erschaffen, die Menschen herausholt aus dem Alltäglichen in das Besondere.
Der Tod der Kunst
Wenn ich ins Kino gehe, sehe ich abends meist das, was ich morgens in den Nachrichten lese, nur in bewegten Bildern: Diskurs, Diskurs, olé! Ich bleib zu Hause und schaue lieber Filme von Fellini, Pasolini oder Nanni Moretti, in denen Menschen noch Sehnsüchte haben. Sie lieben, sie begehren, sie sehnen sich nach einem Ich, dem wenigen, das uns sicher ist. Leidenschaft bewegte einst die Menschen. Heute aber geht es um Relevanz: Nur wenn’s politisch wird, zählt das alles. Toter kann die Kunst nicht mehr werden.
STERN 48_24 Marinic Muskulin 15.30
In Berlin, wo gespart werden muss, wird die Kunstszene jetzt kahlgeschlagen. Ganze Projekte sollen mit einem Schlag abgeholzt werden. Projekte etwa, mit denen geflüchtete Künstler in den Arbeitsmarkt integriert werden, sollen auf null gesetzt werden. Die Kunst ist zu unbequem geworden, sie kann jetzt weg. Der CDU-Kultursenator Joe Chialo wird einiges zu retten haben, wenn er sein Amt behalten will.
Man könnte meinen, in Berlin sei das alles ein Problem der CDU. Doch das Problem begann schon, als grüne und linke Politiker meinten, sie hätten Ahnung von Kunst. Sie maßten sich Kompetenzen an, für die eine CDU von der Kunstszene Ohrfeigen geerntet hätte. Handzahm hat sich die Kunst machen lassen, zum Dienstleister. Kunst als Austragungsort für große gesellschaftliche Fragen: Schwierig, lasst das doch mal die Documenta machen! Wenn es schiefgeht, waren es nur die irren Kunstmenschen!
Vor Jahren fiel bei den Grünen der Begriff nachhaltiger Kunst. Was soll das sein?, riefen viele empört. Heute werden zudem und ernsthaft große Romane zur Klimakrise gefordert; zur besten Sendezeit zeigt man pädagogisches Weltuntergangs-TV. Gerade linke und grüne Kulturpolitiker haben Kunstförderung zunehmend an politische Fragen gekoppelt.
Natürlich spielt die Kunst da nicht mit. Wo kein Spiel, da keine Kunst. Statt ihr die Spielräume zurückzugeben, kürzt man sie weg. Wie heißt es? Wir werden der Kunst nicht fehlen. Sie uns schon.