Bei der „1Live–Krone“ feiert sich die deutsche Musikwelt in Bielefeld selbst – und schlägt deutliche politische Töne an.
Was macht Jan Böhmermann da auf dem Bildschirm? Die Verleihung des Musikpreises „1Live-Krone“, die der WDR-Radiosender 1Live vergibt, soll beginnen. In der Ankündigung hieß es, dass TV-Moderatorin Jeannine Michaelsen und die Brass-Band Querbeat den Abend im Lokschuppen Bielefeld eröffnen sollen.
Doch bevor die Show losgeht, wird Jan Böhmermann vor der blauen Tagesschau-Kulisse eingeblendet und setzt in ironischer Böhmermann-Manier die Stimmung für den Abend, der besonders politisch werden wird. „Es bleibt stürmisch da draußen. Und es wird weiter ungemütlich. Aber es ist genau das richtige Wetter für Menschen, die was wollen“.
„Zeit, dass sich was dreht“: Moderatorin Jeannine Michaelsen singt mit Querbeat zusammen die Eröffnung
© WDR/Celina Palenda
Die „1Live-Krone“, kurz „Krone“, gilt als Deutschlands größter Musikpreis, seit der „Echo“ 2018 wegen des Skandals um die Preisträger Kollegah und Farid Bang zum letzten Mal stattfand. Damals hatten viele andere Künstler ihre Echos aus Protest gegen antisemitisch klingende Textzeilen der Rapper zurückgegeben. Die Krone ist ein Publikumspreis, die Hörer des Radiosenders und alle Fans können in verschiedenen Kategorien für ihre Lieblingskünstler abstimmen. In diesem Jahr feiert der Preis sein 25. Jubiläum.
„Bielefeld!“ , so beginnt die „1Live-Krone“
Deshalb flackern nach der launig-launischen Böhmermann-Einlage Impressionen aus dem vergangenen Vierteljahrhundert der Preisverleihung auf: Herbert Grönemeyer, Joy Denalane, Clueso, Die Fantastischen Vier, Lena Meyer-Landrut. Dazu eröffnet Querbeat die gemeinsame Musikeinlage mit Jeannine Michaelsen, eine Interpretation von „Zeit, dass sich was dreht“. Allerdings nicht im Grönemeyer-Original, sondern in der Variante des Rappers $oho Bani (der für diesen Sommerhit später in der Kategorie „Bester Song“ ausgezeichnet wird).
„Bielefeld!“ , ist das erste Wort, das Michaelsen nach dem Song in den Saal ruft. Überall in Bielefeld hängen Banner, Plakate und Poster, die die Verleihung ankündigen. An diesem Donnerstag regnet es unerbittlich in der ostwestfälischen Stadt. Dafür fallen die deutschen Musikstars in Bielefeld ein: Neben Nina Chuba, Ski Aggu, Emilio, Nico Santos, Leony, Max Herre und Joy Denalane geben sich viele andere Musikerinnen und Musiker die Ehre.
In der Branche gilt die Preisverleihung als beliebtes Event. Die Aftershowparty ist dafür bekannt, dass die meisten Nominierten nicht mit ihren Entouragen in andere Clubs abdampfen, sondern vor Ort weiterfeiern. In den Kurzinterviews auf dem pinkfarbenen Teppich vor der Verleihung freuen sich viele Künstler und geladene Gäste auf die Party. „Es ist wie ein Klassentreffen“, sagt der international erfolgreiche DJ und Produzent Frans Zimmer, besser bekannt als Alle Farben. Nicht in allen, sondern in zwei Farben ist die Band 01099 vor Ort: ganz in schwarz gekleidet und am ganzen Körper komplett rot angemalt laufen Gustav, Zacharias und Paul über den Teppich.
Die Gruppe aus Dresden gewinnt den ersten Preis des Abends in der Kategorie „Bester Hip-Hop-R&B-Song“ und setzt sich damit unter anderem gegen Nina Chuba durch, die seit ihrem Hit „Wildberry Lillet“ von 2022 omnipräsent ist. Neben Ski Aggu gehört Chuba zu den gefragtesten Stars des Abends. Jeder möchte sie sprechen, bei der Nennung ihrer Namen wird am meisten gejohlt.
Die Preisverleihung geht zügig vonstatten, Moderationen, Laudationen, Danksagungen und Live-Auftritte folgen aufeinander, Längen gibt es selten. Jeannine Michaelsen gibt sich politisch, ihre erste längere Moderation richtet sich gegen Friedrich Merz (den sie mit seinem eigenen, gegen migrantische Männer gerichtete Zitat als „kleinen Pascha“ bezeichnet) und den Cum-Ex-Gedächtnisschwund von Olaf Scholz. Die Gags um Dubai-Schokolade fallen ein bisschen bemüht, die politischen Statements hingegen klar aus: Sie ruft dazu auf, sich aktiv gegen Rassismus und Frauenfeindlichkeit einzusetzen.
Toni Kroos schickt eine hölzerne Nachricht aus Madrid
Diese politische Note wird später wieder aufgenommen, als Moderatorin Aminata Belli die Laudatio für die Beatsteaks hält. Die Berliner Band erhält einen Sonderpreis für ihr Engagement gegen Rechts und für eine aktive Jugendkultur in Ostdeutschland. „Ich war am Wochenende aufm Weihnachtsmarkt – hört sich an wie ein Stand-up, ist aber nicht“, leitet Belli ein und erzählt, dass sie dort einen Nazi gesehen habe, der so aussah wie die Nazis „vor denen ich mich als Kind versteckt hab“. Es folgt eine sehr persönliche Schilderung, wieso der aktive Einsatz gegen Rassismus so wichtig ist.
STERN PAID IV Beatsteaks-Sänger 08.30
Der Sonderpreis ist einer der beiden Preise, die von der Redaktion vergeben wird. Der andere ist in der Kategorie „Beste Unterhaltung“ und geht in diesem Jahr an Toni und Felix Kroos und ihren Podcast „Einfach mal luppen“. Toni Kroos ist nicht zugegen, er schickt eine freundlich-hölzerne Nachricht aus Madrid. In der Halle ist Felix Kroos, auch er mahnt zur aktiven Verteidigung der Demokratie.
Paula Hartmann wird als „Beste Künstlerin“ ausgezeichnet. Sie schickt ein Grußwort aus Tokio, dort absolviert sie derzeit ein Auslandssemester. Was auffällt: nicht nur Preisträger $oho Bani und Paula Hartmann fehlen. Superstar Apache 207 und die Sängerinnen Shirin David und Ayliva – die in Deutschland bei Spotify öfters gestreamt wurde als Taylor Swift – waren beide nominiert und nicht anwesend.
„Jetzt habe ich auch so einen Klotz“, freut sich Berg
Umso begeisterter waren die Künstler vor Ort. SDP erhielt die Krone als „Bester Liveact“. Felix Dautzenberg alias Berq, Jahrgang 2004, wurde als „Bester Newcomer“ ausgezeichnet. In seiner Dankesrede wirkte der in einen Oversize-Anzug gekleidete Sänger so gelöst wie ein Abiturient bei seiner Abifeier. „Jetzt habe ich auch so einen Klotz“, sagte er glücklich über seine Trophäe. Die war bis vor einem Jahr noch eine Kugel. Das erklärte Moderatorin Jeannine Michaelsen mit zwei Gründen: „Hab richtig Bock, besoffen auf ’ne Glaskugel aufzupassen“, hatte der prämierte Comedian Felix Lobrecht im vergangenen Jahr gesagt. Außerdem haben Otto Waalkes und Ski Aggu im vergangenen Jahr mit den Kronen gekegelt – da habe die Versicherung nicht mehr mitgemacht, so Michaelsen.
Apropos Ski Aggu: Der für eskalative Outfits bekannte Berliner trug neben seiner namensgebenden Skibrille rote Shorts und ein weißes Hemd mit der Aufschrift „Elias M. Barek zahl deine Schulden“ und sorgte damit für Gesprächsstoff. Was das soll? Dazu sagt er nichts, Ski Aggu lacht nur. Er wurde mit Sänger Zartmann für das gemeinsame Lied „Wie du manchmal fehlst“ in der Kategorie „Bester alternativer Song“ ausgezeichnet. FS Pink Carpet
Auch die letzte Krone des Abends geht an Ski Aggu. Er wird als „Beste Künstler“ ausgezeichnet. „Hat jemand ’ne Hose für mich?“ , fragt er auf der Bühne, ihm fliegt eine zu. Später ist er wieder ohne lange Hose unterwegs. „Ich schäme mich schon fast“, sagt er nach der Preisverleihung über die fünf Kronen, die er seit dem letzten Mal gewonnen hat. Der 27-Jährige kokettiert schon lange damit, der nächste Bundeskanzler werden zu wollen. Auf die vorgezogenen Bundestagswahl angesprochen, erläutert er seine Strategie: „Ich habe einiges geplant, mal gucken, ob ich es auch werde, aber wenn nicht, dann hab ich schon mit meiner Partei einen Plan ausgetüftelt, wie wir die Regierung stürzen können, damit Neuwahlen entstehen, aber das ist noch streng geheim.“ Er ist einer der wenigen Künstler, die nach den letzten Pressegesprächen von der Tanzfläche verschwinden.
„Geil, Alter!“, hört man DJs und Künstler rufen
Nach der Preisverleihung sind die Kronen nicht mehr das Objekt der Begierde, sondern Rollen in Alufolie. Ein Teil der Verpflegung vor Ort sind Dürüms und Döner, die umhergetragen werden. „Geil, Alter!“, hört man DJs und Künstler rufen, die aus der ersten Fuhre welche abgreifen können, bevor für sie die Party losgeht.
Ohne Dürüm, aber mit einem Getränk in der Hand läuft Comedian Abdelkarim durch den Lokschuppen. „Ist entspannt hier, oder?“ , sagt er auf der Aftershowparty. Kurz wird im Gespräch versucht, zu erfassen, woran es liegt. Vielleicht daran, dass es in NRW etwas unprätentiöser und freundlicher zugeht als anderswo? Ja, könnte sein. Abdelkarim ist in Bielefeld geboren und aufgewachsen, lebt aber in Duisburg. Er dreht nochmal eine Runde durch die Location.
Auf der Tanzfläche läuft derweil die Party immer weiter. Gewinner des Abends tanzen ausgelassen mit ihren Preisen in der Hand, alle anderen tanzen ohne Preise in der Hand. Prominente und nicht prominente lehnen an den Bars, trinken, lachen. Die Musik ist Mainstream, Katy Perry, Dua Lipa, David Guetta. „Na, wie läuft’s?“ , fragt Abdelkarim später im Vorbeigehen. Gut, bisschen müde. „Ja, Long Covid, die Leute können einfach nicht mehr feiern wie früher“, sagt er trocken. „Gute Besserung!“