Mit „Kriegstreibern“ koalieren? Sahra Wagenknecht war lange gegen eine Brombeer-Koalition in Thüringen. Ihre BSW-Parteifreunde sahen das anders. Nun kam es zur Aussprache.
Gerade als es ums ganz Grundsätzliche geht, um die Frage, ob man sich überhaupt darauf einlassen dürfe, mit diesen „Kriegstreiber um Merz“ eine gemeinsame Landesregierung zu gründen – genau da gerät die Debatte plötzlich ins Stocken. Unruhe macht sich breit in der Halle im beschaulichen Ilmenau, wo an diesem Samstag die Delegierten vom Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) zusammengekommen sind, um über den neuen Thüringer Koalitionsvertrag zu befinden. Die Unruhe hat einen Grund: Die Namensgeberin soll jeden Moment eintreffen.
Rasch verlassen rund 100 Delegierte den Saal und stellen sich im Foyer zum Spalier. Sie wollen ihrer Bundeschefin einen eindrucksvollen Empfang bereiten – doch dann passiert nichts. Schließlich ruft jemand, es habe ein Missverständnis gegeben: Wagenknecht ist bereits durch den Seiteneingang gekommen. Das Spalier löst sich betreten auf, die Delegierten kehren zurück in die Halle.
Vor diesem kleinen Fauxpas haben sie Reden der beiden Landesvorsitzenden, Katja Wolf und Steffen Schütz, gehört. Wolf, einstige Bürgermeisterin von Eisenach, versucht die Anwesenden für den rund 120 Seiten starken „Brombeerkoalitionsvertrag“ zwischen CDU, BSW und SPD zu begeistern. „Hier kann für Thüringen etwas ganz Wichtiges entstehen – und auch für das BSW“, betont sie. Der Vertrag symbolisiert nicht nur eine neue politische Konstellation im Land, er soll auch innerparteiliche Differenzen im BSW überwinden.
Zuvor hatte es nämlich heftige interne Auseinandersetzungen gegeben. Als am 18. Oktober CDU, BSW und SPD ein erstes Sondierungspapier vorstellten, nannte Wagenknecht es einen „Fehler“. Es folgte ein offener Machtkampf zwischen dem Landes- und dem Bundesverband. Ein Knackpunkt: Im Entwurf fehlten Wagenknecht klare, natürlich ablehnende Aussagen zu einer geplanten Stationierung von US-Raketen in Deutschland – ein Thema, das für Wagenknecht und ihre Anhängerinnen und Anhänger eng mit der Forderung nach einer konsequenten Friedenspolitik verbunden ist.
Versammlung in Ilmenau: Das BSW gibt sich einig
Erst das Scheitern der Ampel-Regierung auf Bundesebene, die nahenden Neuwahlen und der Druck sinkender Umfragewerte führten zum Einlenken beider Seiten. Der nun vorliegende Kompromiss ist ein Signal der Einigung: Im fertigen Koalitionsvertrag findet sich nun die Formulierung, man sehe eine Stationierung und Verwendung ohne deutsche Mitsprache „kritisch“. Außerdem taucht der Begriff „Frieden“ insgesamt 26 Mal auf.
In Ilmenau scheint der interne Zwist zwischen Bundes- und Landesverband beigelegt. „Es tut mir in der Seele weh, wenn versucht wird, einen Keil zwischen Sahra und mich zu treiben“, sagt Wolf mit Blick auf die Bundesvorsitzende. Sie lobt die Namensgeberin der Partei: „Wir sollten nicht vergessen, wer uns ermöglicht hat, hier zu sitzen und eine neue, eine verantwortungsvolle Politik zu machen.“
Auch Wagenknecht selbst zeigt sich auf der Bühne betont versöhnlich. Den Streit um die Präambel des Vertrags streift sie nur kurz. „Beim ersten Entwurf haben wir gesagt: ‚Nein, das ist noch nicht gut genug.‘ Damit hätten wir zu viele Menschen enttäuscht“, erklärt sie. Jetzt jedoch scheinen alle zufrieden – oder zumindest bereit, an einem Strang zu ziehen.
So fällt auch die entscheidende Abstimmung eindeutig aus: Bei 2 Enthaltungen und 26 Gegenstimmen stimmen 76 Delegierte für den Vertrag.
Der Bundestagswahlkampf beginnt
Die Beweggründe für diese Geschlossenheit liegen auf der Hand. Angesichts schwankender Umfragewerte zwischen vier und sieben Prozent – braucht das BSW dringend Geschlossenheit, um bei der anstehenden Bundestagswahl überhaupt den Einzug ins Parlament zu schaffen. Mittags ist klar: Das BSW gibt sich einig, um den Weg für die sogenannte Brombeerkoalition in Thüringen freizumachen – und damit vielleicht auch die eigene politische Zukunft zu sichern.
05: Umfrage Abstand zwischen Union und SPD schmilzt deutlich – 8d833ae327d76e31
Und um diese Bundestagswahl geht es auch direkt am Nachmittag: Die junge Partei stellt ihre Liste für die Bundestagswahl auf. Bei den Nominierungen gibt es teilweise etwas Ärger in Ilmenau: Als sich Thomas Schmid auf den zweiten Listenplatz bewirbt, wirft ihm ein Parteifreund vor, in der AfD gewesen zu sein. Schmid ruft entsetzt dazwischen: „Ich war nie in der AfD.“ Am Ende wird er nicht gewählt: Auf den ersten beiden Listenplätzen landen der Bürgermeister Robert Henning und die Landtagsabgeordnete Anke Wirsing.