Glühwein-Report: Falsche Mythen, geheime Rezepte und die große Abzocke

50 Millionen Liter pro Jahr – die Deutschen lieben ihren Glühwein. Was drin ist im Becher, scheint uns egal zu sein. Wie die Branche damit Kasse macht.

Der Weihnachtsmarkt am Hamburger Rathaus müffelt. Nach einem Mix aus strengem Käse, Großstadt und Glühwein, für den die Besucher anstehen, drängeln und bereitwillig den Preis eines edlen Weins bezahlen: 22,50 Euro pro Liter.

„Bei uns wird Bio-Glühwein eines Pfälzer Winzers ausgeschenkt“, verspricht Betreiber Roncalli. Für den Becher plus Pfand einen Zehneuroschein über die Theke zu reichen, tut trotzdem weh.

Die Deutschen scheinen diese Kaufreue zu lieben: Rund 50 Millionen Liter Glühwein trinken wir pro Jahr. Steigende Preise und unbekannte Qualität sind dabei oft egal. Produzenten und Verkäufer profitieren davon.

Billigwein als Grundlage

Wer Glühwein herstellt, geht meist so vor: Im Frühjahr kauft man Rot- oder Weißwein in südeuropäischen Ländern saisonal günstig ein. Wichtigstes Land für die deutschen Produzenten ist Spanien. Von dort lässt sich Fasswein – Wein, der nicht in Flaschen vermarktet wird – besonders billig importieren. Laut der Marktanalysefirma Catella Research zahlt man dort 40 Cent und weniger pro Liter.

In nur einem Schritt und mit geringen Kosten wird dieser Billigwein dann „veredelt“: Man gibt Kristallzucker, Zimt und Nelken dazu. Zusammen kosten die Zutaten 1,20 Euro pro Liter, so die Experten von Catella Research. In Summe also 1,60 Euro für etwas, das später für über 20 Euro verkauft wird.

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Zwar fehlen noch die Kosten für Produktion, Mitarbeiter und der Gewinn der Verkäufer. Aber selbst mit teurerem deutschem Winzerwein als Grundlage erkläre sich der Endpreis für einen Becher Glühwein nicht wirklich, schreibt Catella Research in ihrem jährlichen Bericht „Market Tracker Weihnachten“ für 2023.

Ein Aspekt macht die Branche hierzulande besonders undurchschaubar: Auf dem deutschen Glühweinmarkt herrscht fast ein Monopol.

Monopol bei Glühwein

Wer auf einem deutschen Weihnachtsmarkt einen Glühwein trinkt, hat sehr wahrscheinlich eine Mischung im Becher, die aus einer Fabrik in Nürnberg kommt: der Gerstacker Weinkellerei Likörfabrik GmbH, ein fränkischer Familienbetrieb, der den Weltmarkt dominiert.

Das Unternehmen nennt zwar keine aktuellen Geschäftszahlen. Den eigenen Marktanteil am deutschen Glühweinmarkt gibt Gerstacker aber mit 80 Prozent an. Branchenkenner schätzen den Anteil höher, im deutschen Einzelhandel gar auf 98 Prozent.

Das Rezept des Gerstacker-Glühweins ist ebenso geheim wie die Zahlen. Was klar ist: Gerstacker beherrscht den deutschen Markt.

Bei solch einer Dominanz fällt die Preisgestaltung leicht: Eine Literflasche des bekannten und meistverkauften Nürnberger Christkindles Markt-Glühwein kostet im Supermarkt stolze 4,50 Euro. Auf dem Weihnachtsmarkt bekommt man dafür nur einen kleinen Becher voll – mit womöglich dem gleichen Inhalt.

Guten Glühwein erkennen

Manchmal wird aber nicht nur der Preis massiv erhöht, sondern auch die Qualität reduziert, indem Glühwein verwürzt, überzuckert oder gestreckt verkauft wird. Yvonne Heistermann, Präsidentin der Sommelier-Union Deutschland, weiß, wie man guten von schlechtem Glühwein unterscheidet.

„Ein guter Glühwein soll wirklich nach Wein schmecken“, so die Expertin. „Er soll nicht beißend oder sprittig, also alkoholisch im Geschmack sein, sondern man soll das Weinaroma durchschmecken, ergänzt durch Aromen von Weihnachtsgewürzen und mit einem Hauch Süße.“

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Ist ein Glühwein sehr süß, sollte das misstrauisch machen. „Mit Süße kann man ja viel kaschieren.“ Gleiches gelte, wenn der Glühwein überwürzt sei, wenn er zum Beispiel extrem nach Nelke schmecke. Ein guter Glühwein brauche nicht viele Gewürze, so Heistermann. „Deshalb gilt für mich die Faustformel: Je ‚weiniger‘ ein Glühwein ist, desto besser.“