Natur unterstützen: Studie: Deutschland könnte wilder werden

Die Natur mehr sich selbst überlassen: Das fordern nicht nur Naturschützer. Das Potenzial für mehr Wildnisflächen ist da, wie eine neue Studie zeigt.

Ziel verfehlt – aber Potenzial vorhanden: Deutschland hat einer Studie zufolge bislang nur 0,62 Prozent seiner Fläche wieder in große Wildnisgebiete umgewandelt, das sind rund 220.600 Hektar. Geplant waren bis 2020 eigentlich zwei Prozent. Experten zufolge könnte die Marke künftig aber erreicht werden. „Die zwei Prozent sind realistisch“, sagte Adrian Johst, Geschäftsführer der Naturstiftung David. Deutschland habe passende Flächen. In den kommenden Jahren könne der Anteil mit bereits konkret geplanten Gebieten auf 0,73 Prozent steigen. 

Die Zwei-Prozent-Marke ist ein Kernziel der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt der damaligen Bundesregierung aus dem Jahr 2007. Experten der Naturstiftung David, der Heinz Sielmann Stiftung und der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt haben jetzt untersucht, wie groß der Anteil der Wildnisgebiete in Deutschland und wie groß das Potenzial für weitere Gebiete ist. 

Experten: Ziel könnte übertroffen werden 

Die Hochrechnungen zeigen laut Heiko Schumacher von der Heinz Sielmann Stiftung, dass sich auf weiteren 1,67 Prozent der Landesfläche großflächige Wildnisgebiete etablieren lassen würden – und damit das Zwei-Prozent-Ziel sogar noch übertroffen werden könnte.

Mecklenburg-Vorpommern (1,6 Prozent) und Brandenburg (1,1 Prozent) stehen demnach bereits jetzt kurz davor, das Ziel jeweils für ihr Bundesland zu erreichen. „Das sind Länder, die noch sehr viele große, unzerschnittene Flächen haben“, sagte Adrian Johst. Mit rund 38.000 Hektar hat das nordöstliche Bundesland die meisten Wildnisflächen bundesweit, demnächst komme noch eine etwa 1000 Hektar große Waldfläche auf Rügen hinzu. Brandenburg hat rund 34 000 Hektar Wildnisflächen. 

Bayern: Viel Wildnisfläche, aber relativ geringer Anteil 

Bayern verfüge mit rund 36.500 Hektar zwar auch über relativ viel Wildnisfläche. Wegen der großen Gesamtfläche des Bundeslandes liege der Anteil aber nur bei rund 0,5 Prozent, erklärte Johst. Selbst im dicht besiedelten Nordrhein-Westfalen wäre es ihm zufolge möglich, nach den relativ strengen Kriterien zwei Prozent der Landesfläche als Wildnisgebiete auszuweisen. „Da würden natürlich sehr viele Landeswaldflächen drunter fallen“, so der Experte. Die Frage, ob das politisch gewollt sei, stehe auf einem anderen Blatt. In Nordrhein-Westfalen ist die Wildnis der Auswertung zufolge derzeit auf rund 7.800 Hektar sich selbst überlassen, das sind 0,2 Prozent der Landesfläche.

In großen Wildnisgebieten kann sich die Natur ohne direkte Eingriffe des Menschen entwickeln. Die Gebiete müssen eine zusammenhängende Fläche von mindestens 1.000 Hektar aufweisen. Für Auwälder, Küsten und Moore sind 500 Hektar ausreichend. Viele der Wildnisgebiete liegen in Nationalparks. Wildnis kann den Experten zufolge auch auf stark vom Menschen geprägten Flächen entstehen – wie beispielsweise ehemaligen Bergbau- und Militärflächen. 

Nabu: Viele Menschen wünschen sich Wildnis

„In Wildnisgebieten hat die Natur wieder Raum und Zeit, sich aus eigener Kraft zu entwickeln. Doch im dicht besiedelten Deutschland sind Gebiete, in denen sich die Natur frei entfalten kann, sehr selten geworden. Dabei wünscht sich eine große Mehrheit der Deutschen mehr Wildnis vor der eigenen Haustür“, erklärte Christian Unselt, Vorsitzender der Nabu-Stiftung Nationales Naturerbe. 

„Wildnis ist eine Schatzkammer der biologischen Vielfalt. Sie ist ein ganz wichtiger Lebensraum für Tiere und Pflanzen, die auf diese natürliche Entwicklung angewiesen sind“, betonte Heiko Schuhmacher von der Heinz Sielmann Stiftung. Auch für den Klima- und Hochwasserschutz sei sie wichtig. Die meisten der bestehenden Wildnisgebiete in Deutschland sind den gesammelten Daten zufolge Nadelwälder (rund 34 Prozent), gefolgt von Laubwäldern (rund 25 Prozent) und Mischwäldern (8 Prozent).

Die Nationale Strategie von 2007 werde aktuell überarbeitet, hieß es weiter. Die Bundesregierung wolle nun bis 2030 die Zwei-Prozent-Marke erreichen. „Der Bund braucht dazu aber die Länder, private Akteure, Stiftungen und Verbände, die das Ziel umsetzen“, sagte Adrian Johst. Der Bund habe nicht genug Flächen, um es allein zu verwirklichen.