Olaf Scholz nennt seinen Rivalen „Fritze“, der bezeichnet den Kanzler als „peinlich“. Manche sehen schon die demokratische Kultur in Gefahr. Was für ein Unsinn.
Soll noch jemand sagen, Olaf Scholz löse keine Emotionen aus. Seit der Kanzler seinen Rivalen am Montagabend öffentlich „Fritze Merz“ genannt und ihm vorgeworfen hat, ständig „Tünkram“ zu erzählen, könnte man bei Durchsicht der Reaktionen den Eindruck bekommen, die Zivilisation stünde vor dem Zusammenbruch. „Das zerstört jeden Respekt unter Demokraten“, schimpft Armin Laschet, der frühere Kanzlerkandidat der Union. Und der Grünen-Chef warnt vor amerikanischen Verhältnissen, „wo Demokraten und Republikaner sich nicht mehr im gleichen Raum aufhalten können, ohne sich an die Gurgel zu gehen“.
Geht’s auch eine Nummer kleiner?
Es ist richtig und wichtig, auf politischen Anstand zu achten und sich ein feines Gespür für Diskursverschiebungen zu bewahren, gerade in Zeiten wie diesen, in denen Populisten mit der Axt an freiheitliche Prinzipien gehen. Aber seit dem politischen Aufstieg Donald Trumps hat es sich hierzulande eingeschlichen, allzu schnell den Verfall demokratischer Sitten heraufzubeschwören.
Friedrich merz Panne Heute Journal 22.45
Egal, ob jemand Syrern eine Ausreiseprämie von 1000 Euro verspricht, mal ein Schimpfwort benutzt oder Gegnern ein „heute Show“-fähiges Etikett verpasst – man muss nicht lange warten, bis jemand schreit: Der Trumpismus ist da! Rette sich, wer kann!
Ein Bundespräsident ist genug
Natürlich ist es kein Ausweis besonderer Eleganz, dass Olaf Scholz bei jeder Gelegenheit Respekt einfordert, um dann seinen Gegner auf Plattdeutsch verächtlich zu machen. Aber deswegen verfällt nicht gleich die demokratische Kultur.
Wahlkampf kommt von kämpfen. Es ist nicht nur in Ordnung, dass es zur Sache geht, wenn die Deutschen die Frage klären sollen, von wem sie künftig regiert werden. Es ist sogar nötig. Politik lebt von Emotionen, von Reibung, einer gewissen Hitze. Der Aufstieg der Populisten hat auch damit zu tun, dass etablierte Politiker zu häufig so wirken, als wären sie ein wandelnder Vermittlungsausschuss. Ein Bundespräsident ist genug.
Olaf Scholz: Das Kernproblem liegt woanders
Problematischer als das „Tünkram“-Zitat des geschäftsführenden Kanzlers ist seine Unfähigkeit zur Selbstkritik, die Nonchalance, mit der er dem brutalen Scheitern seiner Koalition und seines politischen Ansatzes begegnet. Wer auch nach diesen drei Jahren noch so tut, als sei er in Wahrheit der weltbeste Regierungschef, muss sich nicht wundern, wenn er von den Wählern im Februar schwer abgestraft wird. Nicht nur das Hinlangen lässt einen menschlicher und emotionaler erscheinen. Auch die Selbstreflexion, die Fähigkeit zur Demut. Die fehlt bei Scholz völlig.
Liveblog Olaf Scholz stellt Vertrauensfrage
Und was die Union angeht: Statt über die vermeintliche Grenzüberschreitung des Kanzlers rumzuheulen, wäre es vielleicht angesagt, selbst mit dem Kämpfen anzufangen. Schon 2021, als fast jeder gegnerische Angriff als eine Art Majestätsbeleidigung hingestellt wurde, man den Kanzler aber selbst als „Schlumpf“ hinstellte, war das Selbstmitleid ein zentrales Problem im Unions-Wahlkampf. Wer sich permanent beschwert, unfair behandelt zu werden, wirkt nicht wie jemand, der das Format hat, die viertgrößte Volkswirtschaft der Erde zu führen. Und souverän auch schwierigen Politikern entgegenzutreten. Womit wir wieder bei Donald Trump wären.