Bundestagswahlkampf: Streit um Leistungswillen – Merz: SPD denkt in Schablonen

Abwertungen à la „Tünkram“ oder mehr Fairness – kurz vor Heiligabend beteuern die Kontrahenten im Wahlkampf, sich nicht mehr gegenseitig runter machen zu wollen. Und reiten dann die nächsten Attacken.

Im Wahlkampfstreit um Leistungsbereitschaft und Sozialleistungen wirft Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz der SPD starres Schablonendenken vor. „Das Wort vom Sozialabbau gehört halt schon zum Standardrepertoire jeder Antwort, wenn wir Vorschläge machen, wie wir in Deutschland wieder nach vorne kommen können“, sagte Merz in einem Videointerview der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hatte der Union vorgeworfen, mit ihrer Kritik an angeblich mangelnder Leistungsbereitschaft in Deutschland die rund 45 Millionen Beschäftigten zu beleidigen.

Auslöser des neuen Streits waren Äußerungen des CDU-Generalsekretärs. Carsten Linnemann hatte im RTL/ntv-Frühstart beklagt: „Wir wachsen nicht mehr. Wir sind Schlusslicht, wir steigen ab. In Deutschland gibt es gar keine Leistungsbereitschaft mehr.“

„Komischer Blick auf Deutschland

Linnemann unterstelle den Erwerbstätigen pauschal Faulheit, sagte Heil daraufhin in einem dpa-Videointerview. Das sei eine „Unverschämtheit“. „Das sind Handwerker, das sind Pflegekräfte, das sind Selbstständige, das sind Soldaten, das sind Polizisten, das sind Feuerwehrleute, das sind Reinigungskräfte.“ Linnemann habe einen „komischen Blick auf Deutschland, so mit Menschen umzugehen“, so der Arbeitsminister. „Das ist nicht meine Art und Weise, Politik zu machen.“

Der CDU-Chef konterte tags darauf, Heils Kritik an Linnemann entspreche „einem Muster, was wir immer wieder sehen bei den Sozialdemokraten“. Merz, dem Kritikerinnen und Kritiker in der Vergangenheit selbst Abgehobenheit vorgeworfen hatten, sagte: „Wir haben in Deutschland viele Menschen, die enorm viel arbeiten.“

Streit um den richtigen Weg

Hinter dem Hin und Her stehen Unterschiede bei den Konzepten. Der CDU-Vorsitzende sagte, bei vielen Menschen bleibe vom Brutto zu wenig Netto übrig. „Das ist das, was wir wollen: Wir wollen die Leistungsbereitschaft fördern. Wir wollen die Menschen ermutigen, ermuntern.“ Die Union wolle sogar „die älteren Menschen mit unserem Vorschlag einer Aktivrente dazu ermutigen, länger im Arbeitsmarkt zu bleiben“. 

Laut Wahlprogramm will die Union mit der Aktivrente freiwilliges Weiterarbeiten über das reguläre Rentenalter hinaus attraktiver machen. Gehalt soll dann erst ab 2.000 Euro im Monat versteuert werden müssen. Erneut wies Merz auch Vorwürfe von Kanzler Olaf Scholz (SPD) zurück, die Union plane nach einem Sieg bei der Bundestagswahl im Februar Rentenkürzungen. „Der Bundeskanzler weiß, dass das falsch ist“, fügte Merz hinzu.

„Tünkram“ und was danach kam

Nach den gegenseitigen Attacken der vergangenen Wochen bis hin zu Scholz` Merz-Verunglimpfung „Fritze Merz erzählt gern Tünkram“ hatten die Kombattanten in Stilfragen eigentlich Besserung gelobt. „Tünkram“ ist plattdeutsch und bedeutet so viel wie dummes Zeug. Die SPD brachte am Donnerstag ein Fairnessabkommen aller Parteien außer der AfD ins Spiel. Schon an selben Tag drohte dann aber der Schlagabtausch rund um die Sozialpolitik zur Schlammschlacht auszuarten. 

Warum lahmt die Wirtschaft?

In der Sache räumte auch Heil enorme aktuelle wirtschaftliche Probleme in Deutschland ein – nur liegen sie seiner Darstellung nach nicht an Faulheit von Menschen, sondern am Stottern des weltweiten Konjunkturmotors. Zentral sei, die Konkurrenzfähigkeit im internationalen Wettbewerb zu erhalten oder wieder zu stärken. „Allerdings nicht, indem man die fleißigen Menschen in Deutschland demotiviert oder gar beleidigt“, etwa „wenn man den Deutschen pauschal unterstellt, es gibt keine Leistungsfähigkeit mehr in diesem Land.“

Linnemann und die CDU wollen – ausgehend von dem Befund mangelnder Leistungsbereitschaft – zum Beispiel Überstundenzuschläge steuerfrei stellen. Wer Mehrarbeit leistet, müsse entlastet werden, etwa freiwillig länger arbeitende Rentner, sagte Linnemann. Heil hingegen meinte, angesichts der tiefgreifenden konjunkturellen Probleme und des teils unfair verstärkten Wettbewerbsdrucks mit China oder den USA sei die Aufgabe jetzt, „um Industriearbeitsplätze zu kämpfen“.

Linnemann bleibt bei Fleiß-Thesen

Auch Linnemann wies Heils Vorwürfe zurück. „Das Versagen der Ampel hat dazu geführt, dass die große Leistungsbereitschaft der Menschen nicht mehr honoriert wird“, sagte der kritisierte CDU-Generalsekretär der dpa. „Nicht die arbeitende Bevölkerung ist das Problem, sondern das Versagen der Ampel.“

Heil kündigte auch für den weiteren Wahlkampf bis zur für den 23. Februar geplanten Bundestagswahl an: „Ich bin immer dafür, dass in der Demokratie auch gestritten wird, dass man kompromissfähig sein muss, gehört auch dazu.“ Er wolle zwar nicht, dass man sich wechselseitig persönlich runter mache, sagte Heil. „Aber in der Sache muss es auch zwischen Demokraten Streit um die richtigen Konzepte geben.“ 

FDP will auch mehr Fairness

Unterdessen unterstützt die FDP, deren Chef Christian Lindner von Scholz als Finanzminister entlassen worden war, die SPD-Idee eines Fairnessabkommens für den Wahlkampf im Grundsatz. „Als Freie Demokraten haben wir großes Interesse an einem sauberen Wahlkampf“, sagte der designierte Generalsekretär Marco Buschmann der dpa.

Linnemann im Frühstart von RTL/ntv Wahlprogramm Union SPD Wahlprogramm Wahlprogramm FDP Wahlprogramm Grüne