Joe Biden hat im Jahr 2020 sein Land und die Welt vor Donald Trump gerettet. Vier Jahre später ist er zu alt und zu müde, um dies erneut zu schaffen. Das muss ihm dringend jemand sagen, sonst droht eine Katastrophe.
US-Präsidentschaftsdebatten sind keine Termine, an denen Fakten verhandelt oder politische Entwürfe ausgebreitet werden. Es geht in diesen 90 Minuten – oftmals der einzige Zeitraum, zu dem wirklich viele Wählerinnen und Wähler einschalten – um etwas Anderes. Es geht um die Gefühle, die Kandidaten wecken. Entschlossenheit zum Beispiel, auch Sympathie, etwa zur wichtigen Frage, ob die Amerikaner diesen Mann oder diese Frau vier Jahre lang virtuell abends in ihr Wohnzimmer lassen wollen. Joe Biden hat am Donnerstagabend auf der Bühne in Atlanta ein Gefühl geweckt. Allerdings eines, das bislang noch kein Bewerber um das Weiße Haus hervorgerufen hat: Mitleid.
Biden, 81, wirkte nicht einfach alt. Das ist Donald Trump, 78, schließlich auch. Biden wirkte uralt, er erschien verwirrt, seine Stimme war brüchig und oft kaum zu vernehmen. Rund eine Woche hatte er sich so gut wie frei genommen, um die Debatte vorzubereiten, um einprägsame Sätze einzustudieren, die Trump verwunden könnten, gewiss auch um sich auszuruhen. Doch Biden erschien auf der Bühne in Atlanta als sei er schon erschöpft von dieser Vorbereitung – fast wünschte man ihm danach, Stichwort Mitleid, er könne hoffentlich erst mal wieder verschnaufen.Erstes TV-Duell von Biden und Trump nachrichtlich
Viele Amerikaner finden, Joe Biden ist zu alt
Ist es Altersdiskriminierung, solche Sätze hinzuschreiben? Vielleicht. Diese Sätze sind aber notwendig, so brutal sie klingen. Der Mann bewirbt sich nicht für den Vorsitz eines Seniorenheims. Er ist der aktuelle Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, der mächtigste Mann der Welt, Herrscher über die schlagkräftigste Armee des Planeten. Er will dieses Amt für weitere vier Jahre ausüben. Biden wäre in seinem letzten Amtsjahr 86 Jahre alt. Mehr als zwei Drittel der Amerikaner dachten vor dieser Debatte, Biden sei zu alt für eine Wiederwahl. Werden es nun 100 Prozent sein?
Schlimmer noch: In der Vergangenheit wurden Zweifel an Bidens Kompetenz und Alter abgetan, von seinem Team, aber auch von anderen Regierungschefs, die ihn trafen, etwa Kanzler Olaf Scholz. Sie suggerierten stets, die Öffentlichkeit sehe nicht den wahren Biden, der entschlossen regiere und Entscheidungen treffe. Videos, die ihn desorientiert zeigten, seien manipuliert. Nach diesem Auftritt in aller Öffentlichkeit fragt man sich aber: Kann dieser Mann überhaupt aktuell noch regieren?
Biden Trump Debate Watch Party New York 07.11
Natürlich wird Bidens Team nun Erklärungen versuchen. Seine Berater werden daran erinnern, dass auch Ronald Reagan einst eine miserable TV-Debatte erlebte, nach der er als zu alt galt und dann triumphal zurückkehrte. (Reagan war damals allerdings fast ein Jahrzehnt jünger als Biden jetzt.) Sie werden darauf verweisen, dass Trump eine große Schwäche – seine Glaubwürdigkeit – mit einem Auftritt voller Lügen kaum beseitigt hat. Sie können Blitzumfragen zitieren, nach denen die Debatte viele Wähler nicht in ihrer Wahlentscheidung beeinflusst habe (wobei schon das Umschwenken Weniger ausreichen könnte, um die Entscheidung zu bringen). Manche schlagen gar vor, die (allerdings sehr unpopuläre) US-Vizepräsidentin Kamala Harris mehr ins Rampenlicht zu rücken.
All das sind Ausflüchte. Biden lag schon vor dieser Debatte in vielen Umfragen zurück, vor allem wegen der Altersfrage, die nun ganz neu im Mittelpunkt steht. Er musste in Atlanta gewinnen, er hat desaströs verloren. Die Demokraten können mit diesem Kandidaten nicht siegen. Sie können diesem Mann eine weitere Amtszeit nicht antun – aber auch nicht der Welt, die sie so an Trump ausliefern. Wenn sie noch einen Hauch Verantwortung als Partei haben wollen, müssen sie Joe Biden zum Ruhestand überreden.