Nach dem Attentat auf den Weihnachtsmarkt in Magdeburg kommt es zu Übergriffen auf Migranten. Ein Experte warnt davor, dass Rechte die Tat instrumentalisieren.
Herr Goldenbaum, die Beratungsstelle Salam, die in Sachsen-Anhalt im Bereich Gewalt- und Radikalisierungsprävention arbeitet, berichtet von Anfeindungen gegen Migranten nach dem Anschlag. Wie ist die aktuelle Situation in Magdeburg?
Wir hören von Migrantinnen und Migranten, dass die Situation für sie in Magdeburg sehr unüblich und verschärft ist. Sie hätten so etwas noch nie erlebt.
Es gibt Berichte von Übergriffen auf Migrantinnen und Migranten.
Ja, es gibt Beschimpfungen gegenüber Menschen, die als migrantisch oder muslimisch eingestuft werden. Sie werden als „Terroristen, „Verbrecher“ und „Pack“ beleidigt. Aber es gibt auch körperliche Übergriffe. Uns haben Menschen erzählt, dass sie bespuckt und geschubst wurden. In der Nacht von Freitag auf Samstag wurde ein aus Syrien stammender Angestellter nach Schichtende auf der Straße von vier Personen massiv körperlich angegriffen. In einem anderen Fall wurde von einem Passanten an einer Ampel mehrfach auf und gegen das Auto eines Migranten getreten.
Am Samstagabend marschierten Hunderte Rechte, darunter viele Rechtsextremisten, mitten in Magdeburg auf. Sie skandierten unter anderem „Ausländer raus“. Wie sicher ist die Stadt aktuell für Menschen mit Migrationshintergrund?
Innerhalb der migrantischen Community hatte man sich gegenseitig vor der Demonstration gewarnt. In Whatsapp-Gruppen und auf Facebook riet man sich gegenseitig, zu Hause zu bleiben oder zumindest bestimmte Orte in der Stadt zu meiden. Einige Menschen sind sogar in andere Städte gefahren, um sich in Sicherheit zu bringen. Deshalb waren vermutlich nur wenige Personen in der Nacht auf der Straße, die hätten zur Zielscheibe werden können. Wir haben aber auch von Leuten gehört, die am Bahnhof beschimpft wurden, als die Rechtsextremisten abreisten. Die ganze Situation ist ein Paradox.
Warum?
Die Dynamik, die sich aus dem Anschlag ergeben hat, passt überhaupt nicht mit den Hintergründen der Tat zusammen. Der Täter sympathisiert auf seinem X-Account mit rechtsextremen Akteuren und hat extrem rechte Inhalte geteilt, die sich gegen den Islam und die Zuwanderung von Migrantinnen und Migranten richten. Jetzt nach der Tat sind es aber Migranten und Muslime, die ins Visier geraten. Eigentlich müsste der Anschlag dafür sorgen, dass man Extremismus und Gewalt grundsätzlich verurteilt. Nun scheint die Tat jedoch weiterer extremistischer Mobilisierung zu nutzen. Es gibt den Versuch, den Anschlag irgendwie doch noch in den Kontext von unkontrollierter Migration und Islam zu stellen. Offensichtlich durchdringen relevante Teile der Bevölkerung die Hintergründe des Anschlags nicht und Nicht- oder Desinformation verstärkt bei manchen noch ein unreflektiertes Unbehagen gegenüber Migranten.
Was erwarten Sie von Staat und Zivilgesellschaft?
Wie bei jedem Anschlag oder Gewaltakt, egal ob im Kontext von Islamismus, Verschwörungstheorien oder Rechtsextremismus, sollten sowohl staatliche Behörden als auch Zivilgesellschaft die Bevölkerung möglichst gut sachlich informieren und aufklären. Einfach, weil wir ein riesiges Problem mit Desinformation haben. Für den gesellschaftlichen Frieden muss zudem den Betroffenen des Anschlags in Magdeburg schnell und unbürokratisch geholfen werden. Aber auch indirekt Betroffenen wie Migrantinnen und Migranten, die jetzt durch irrlichternde Racheaktionen bedroht werden, muss Hilfe angeboten werden.
Haben Sie das Gefühl, dass all das bereits ausreichend geschieht?
Nein.